Computerpannen bringen poetische Blumen zum Erblühen. Und es ist viel höflicher, E-Mails zu schreiben, als anzurufen. Wer hätte das gedacht?
Medientheoretiker Marshall McLuhan zufolge bekommt in unserer Welt der Massenmedien jedermann seinen Moment der Berühmtheit. Bekannter ist die These in einer Formulierung des Pop-Art-Künstlers Andy Warhol aus dem Jahr 1968 („In the future, everyone will be world-famous for 15 minutes.“). Gemeint ist: In jedem von uns steckt ein Künstler. Heute lautet nunmehr meine neue These (gewissermaßen Warhol 2.0): In jedem von uns steckt ein Dichter. Das zeigt sich in den besonderen Momenten unfreiwilliger Alltagspoesie. Originell ist der Gedanke vielleicht nicht, schön aber doch. Vor wenigen Minuten hörte ich:
„Eben ist der Donnervogel abgestürzt.“
Der Satz hat alles, was ein Gedicht braucht: Die Sprache ist bildhaft, die Assoziationen sind farbig. So redet man heutzutage in den Büros. Wie schön. Genau genommen lautete der Satz: „Thunderbird ist wieder mal abgestürzt.“ Aber nicht das mächtige Fabelwesen der indianischen Mythologische ist vom Himmel gefallen. Die kostenlose (und deshalb beliebte) E-Mail-Software von Mozilla macht Scherereien.
Keine E-Mails senden zu können, ist so ziemlich das Schlimmste, was einem im Büro passieren kann. Zwar wird neuerdings der Tod der E-Mail ausgerufen (zum Beispiel hier; die Widerrede steht da). Aber nach meiner bescheidenen Einschätzung hat die elektronische Post die Arbeitswelt um ein Vielfaches mehr bereichert als, sagen wir, Fax, Locher und Post-it-Haftnotizen. Das merkt man immer dann, wenn sie ausfällt. Am Telefon erreicht man die wichtigen Leute nie, da muss man sich eine Woche im Voraus verabreden. Und dann fallen die Leute aus allen Wolken, wenn sie das Anliegen hören, und man verabredet, die Sache aufzuschreiben und per Mail zu schicken. Briefe verlangen viele zusätzliche und langsame Arbeitsschritte (Ausdrucken, Eintüten, Zur Post tragen). Vor allem aber lässt die E-Mail dem Empfänger die Freiheit, sich dann damit zu beschäftigen, wenn er (oder sie) es möchte. E-Mails sind also höflich.
Missbrauch („Kopie an alle“) steht auf eine anderen Blatt. Aber zurück zu Thunderbird: Der Donnervogel hat sich wieder erhoben. Die Kaffeepause ist vorbei, die Arbeit kann weitergehen. Als erstes schreibe ich eine Mail an alle meine Sammelverteiler.
Frank Stäudner