Sprachhüter warnen: Die deutsche Sprache ist bedroht. Englisch verdränge sie aus den Wissenschaften. Doch was ist so schlimm daran, wenn schlechtes Englisch schlechtes Deutsch ersetzt? Das Wissenschaftsdeutsch, das in den meisten Disziplinen gepflegt wird, taugt wenig.
Verteidiger der Wissenschaftssprache Deutsch haben ein beliebtes Argument. Es geht so: Wenn deutsche Wissenschaftler auf Englisch publizieren, verlieren sie die gesellschaftliche Bodenhaftung. Verschwindet Deutsch aus den Wissenschaften, verstummt der Dialog zwischen Experten und Laien. In einem Dossier der Literaturwissenschaftlerin Constanze Fiebach für das Goethe-Institut vom Dezember 2010 liest sich das so: „Wenn nun auf das Deutsche als Wissenschaftssprache verzichtet würde, ergäbe sich eine Kluft zwischen den Wissenschaftlern auf der einen und dem Rest der Gesellschaft auf der anderen Seite. … Alltagssprache und Wissenschaftssprache sind im Deutschen eng miteinander verknüpft.“ (Deutsch als Wissenschaftssprache – deutsche Sprache, quo vadis? www.goethe.de/lhr/prj/diw/dos/de6992833.htm)
Dieses Argument ist leider kompletter Unfug.
Zwar gibt es Begriffe aus den Wissenschaften, die den Sprung ins Alltagsdeutsch geschafft haben – der „Quantensprung“ aus der Physik etwa. Seinen Sinn aber hat er dabei ins Gegenteil verkehrt. Der Physiker denkt an eine minimale Zustandsänderung in der Elektronenhülle eines Atoms, normale Leute an einen gewaltigen Fortschritt. So kommt ein winziger Hüpfer zwar groß heraus. Aber als Werkzeug der Verständigung zwischen Laien und Experten ist das Wort nicht mehr zu gebrauchen.
Was die Verteidiger der Muttersprache zudem gern übersehen: Wissenschaftsdeutsch ist schlechtes Deutsch. Die Fachsprache in Aufsätzen und Fachbüchern ist auf unpersönliche Präzision und Abstraktion getrimmt. Das Passiv regiert, es wimmelt von Bandwurmsätzen, und der Nominalstil wuchert durch die Seiten. Dieser Text zum Beispiel darf maximal 300 Wörter haben. Bei Niklas Luhmann (1927 – 1998), dem bedeutenden Bielefelder Soziologen, reicht das für sechs Sätze.
Es dauert gut zehn Jahre, um aus jungen Leuten Wissenschaftler zu formen. Gutes Deutsch bleibt dabei auf der Strecke. Es sind gleichermaßen traurige Alternativen, wenn sich deutschsprachige Forscher in unbeholfenem Englisch oder stillosem Deutsch ausdrücken. Deshalb wäre es wichtig, an den Milieubedingungen der Wissenschaften anzusetzen. Die Kämpfer gegen das Vordringen des Englischen schlagen einfach die falsche Schlacht.
Frank Stäudner
Eine Fassung des Artikels erscheint im Tagungsband zur Konferenz „Deutsch in den Wissenschaften“, die im November 2011 in Essen stattfand. Zur Konferenzhomepage.
But your wrote this in German. Guess why …
So war es auch früher, als das Latein allmählich fallengelassen wurde und sich das Deutsch als Schriftsprache immer mehr herausbildete – es ermöglichte mehr Leser, mehr Autoren, weniger Einigelei ins Akademische. Wenn man jetzt wieder hundsnormale Dipl.-Arbeiten auf englisch schreibt, ist das – meistens – ein bisschen lächerlich. Höchstens zu begrüßen, um den Akademikern das latinisierte Deutsch wegzunehmen. Aber ist das nicht sowieso dabei langsam zu verklingen? Vielleicht kommt Deutsch als Wissenschaftssprache jetzt erst bei sich an?
Wie auch immer, keine Sprache lässt sich retten, es sei denn, sie rettet sich selbst.
Ich bin nicht sicher, ob ich den Kommentar richtig verstehe. Wie sollte sich eine Sprache selbst retten? Sie existiert doch nur durch und in ihren Sprechern.