Bei jeder Zugfahrt kommt irgendwann der Moment, in dem Mitreisende über die Bahn schimpfen. Zu teuer, zu spät, zu unfreundlich. Wir Vielfahrer schweigen dann wissend. Denn wer so redet, gibt sich als jemand zu erkennen, der nur selten Bahn fährt.
Neulich musste ich mit dem Auto an einem Freitagnachmittag von Heidelberg nach Kassel fahren. 300 Kilometer, auf denen das Gesetz des Dschungels herrschte. Alle wollen schnell nach Hause, viele sind müde, die Stimmung ist aggressiv. Ich werde Zeuge von zwei Massenkarambolagen. In den Kasseler Bergen liegt ein BMW malerisch auf dem Dach. Dahinter staut sich der Verkehr auf 30 Kilometern. Es ist zum Glück die Gegenrichtung. Wie entspannt ist dagegen die Weiterfahrt von Kassel nach Berlin drei Tage später. Da sitze ich nämlich in einem ICE der Deutschen Bahn.
Im Speisewagen trinke ich Kaffee. Mit normaler Milch (vgl. Bahngeschichte 4). Draußen zieht Landschaft vorbei. In einer Stunde geht es über die Elbe. Vielleicht zeigen sich in Brandenburg sogar die seltenen Großtrappen.
Plötzlich geht es am Nebentisch los: „Fast hätten wir den Anschluss in Hannover nicht bekommen. Und es gab mal wieder keine Durchsage, dass der Zug falsch rum gereiht ist. Typisch. Da fährt man einmal im Jahr mit der Bahn. Und dann das.“ Jetzt bloß keinen Fehler machen. Ich könnte davon berichten, wie mich ein Schaffner vor 25 Jahren als Student mal sehr von oben herab behandelte. Oder von zwei Stunden zwischen Jena und Weimar, als sich ein Selbstmörder vor den Zug geworfen hatte. Oder von den ICEs mit fehleranfälliger Neigetechnik, die ab 2000 zwischen Frankfurt am Main und Dresden eingesetzt wurden und regelmäßig stundenlange Verspätungen einfuhren. Von ausgefallenen Klimaanlagen. Von unbenutzbaren Toiletten. Oder vom Stau auf der Schnellbahnstrecke Köln – Frankfurt-Flughafen. Doch das mache ich nicht. Denn verglichen mit den Erlebnissen auf deutschen Autobahnen sind das Kleinigkeiten. Und selten sind die unerfreulichen Erlebnisse noch dazu.* Ich beharre darauf: Das Reisen in großen Wagen mit Chauffeur ist sehr angenehm. Trotz der Beifahrer.
*Eine Einschränkung muss ich machen. Als der Bahnchef Mehdorn hieß und die Bahn sich an der Lufthansa orientierte, war Bahnfahren eine Zeitlang kein Vergnügen. Damals (2002) benannte die Bahn nicht nur die Züge nach dem Vorbild der Fluggesellschaft nach Städten um, sondern versuchte, aus dem Fahrplan noch die letzten Minuten herauszuquetschen. Als Folge gab es keine Zeitpuffer mehr, so klappten die Anschlüsse tatsächlich oft nicht. Inzwischen haben die Verantwortlichen aber erkannt, dass Bahnfahrer nicht möglichst schnell von A nach B kommen wollen, sondern besonders sicher, bequem und flexibel.
Ganz genau so ist das. Ich wundere mich auch regelmäßig über die selektive Amnesie der Bahnmeckerfritzen, die ganz offenbar das Drama auf deutschen Autobahnen (Baustellen, Staus, Drängler) komplett vergessen und sich dann wahnsinnig über 10 Minunten Zugverspätung aufregen.