Das Ende der Wahrheit oder: warum es keine allgemeine Theorie des Managements geben kann, das aber auch nicht schlimm ist

Heidelberg, den 19.4.2023. Am 14. April 2023 schießt die europäische Weltraumagentur ESA die unbemannte Raumsonde Juice ins All. Nach einer Reihe komplizierter Flugmanöver trifft die Sonde in acht Jahren am Jupiter ein. Juice biegt dort ein in eine Umlaufbahn um den Jupitermond Ganymed und sucht nach Spuren von Leben. Ob die Sonde fündig wird, wissen die Physiker und Ingenieure nicht. Aber dass der Flugkörper nach seiner langen und verschlungenen Reise durch das Sonnensystem genau dort ankommen wird, wo er hin soll, daran zweifelt niemand. Die Berechnungen basieren auf anerkannten physikalischen Theorien.

In den vergangenen Jahrzehnten haben es die Physiker geschafft, unser Verständnis der unbelebten Welt in bemerkenswerter Weise auszubauen und zu vertiefen. Die Theorien über die Welt der Menschen können da nicht mithalten. So wäre jede Prognose einer Führungskraft über den exakten Zustand des Unternehmens in acht Jahren gewagt bis zur Lächerlichkeit. Die Theorien des Managements können und werden nie so gut sein wie die der Physiker. Das liegt in der Natur der Sache, über die gleich noch zu reden sein wird. Zugleich legt die Offenheit der Zukunft eine Reihe von Prinzipien und Handlungsweisen nahe, die die Welt des Managements doch ein wenig vernünftiger und planbarer machen.

Die Welt der Menschen und ihrer Organisationen ist weniger berechenbar als die Welt der Physiker. Das liegt daran, dass Menschen ihr Zusammenleben gestalten und dabei viele Freiheiten haben. Unsere Werte, Normen und Übereinkünfte sind kontingent, das heißt, sie könnten auch anders lauten. Menschenrechte, Gleichberechtigung, Mitbestimmung sind ausgedachte Dinge, die ihre Gestaltungskraft erst dadurch gewinnen, dass Menschen an sie glauben bzw. mehrheitlich als Richtschnur ihres Tuns für sinnvoll, begründet oder vernünftig halten. Selbst eine für das Wirtschaftsgeschehen so bedeutsame Sache wie Geld existiert durch eine freiwillige Übereinkunft. Wie prägend Erwartungen sein können und wie mächtig enttäuschte Erwartungen sind, sieht man zum Beispiel dann, wenn ein börsennotiertes Unternehmen einen Rekordgewinn vermeldet, der Aktienkurs aber dennoch in den Keller rauscht, weil Anleger noch viel bessere Zahlen erwartet hatten.

Unsere sozialen Systeme sind gestaltet, sie haben eine Geschichte und könnten auch anders beschaffen sein. Und tatsächlich waren sie in der Vergangenheit anders beschaffen, und sie werden es in der Zukunft auch sein. So betrachtet, kann die Gestaltung und Steuerung von zweckorientierten sozialen System keine exakte Wissenschaft sein. Die Zukunft ist offen, und die Entscheidungen im Hier und Jetzt sind in ihren Konsequenzen nicht immer klar. Zugleich wird von den Chefinnen und Chefs der jeweiligen Organisation erwartet, den Zweck, zu dem die Organisation dient, zu erfüllen. Im Fall von Unternehmen bedeutet dies, dauerhaft Gewinn zu erwirtschaften und auf diese Weise auch die eigene Existenz zu erhalten. So klar der Auftrag sein mag, so offen ist der Weg. Spektakuläre Firmenpleiten legen davon Zeugnis ab, dass auch kluge Leute schlechte Entscheidungen treffen. Dennoch hat die Managementlehre eine Reihe von Prinzipien hervorgebracht, die die Erfolgschancen im Management erhöhen:

  1. Halte es stets für möglich, dass Du falsch liegst.
  2. Sage, wo Du hin willst, aber nicht, welchen Weg das Team nehmen muss.
  3. Mache Dein Handeln überprüfbar, lege Rechenschaft ab.

In der zeitgenössischen Philosophie wird die wahrheitsskeptische Haltung, die sich in Prinzip 1 ausdrückt, häufig mit dem sog. Kritischen Rationalismus verbunden. Der Philosoph Karl Popper (1902 – 1994) hat die Position maßgeblich entwickelt. Popper hält allgemeine Gesetzmäßigkeiten in der Wissenschaft generell für unbeweisbar. Positive Wahrheiten sind unmöglich, allenfalls unserer Irrtümer können wir sicher sein, wenn es gelingt, Gegenbeispiele zu finden. Popper erweitert seine wissenschaftstheoretische Position später zu einer allgemeinen Ideologiekritik. Politische Ideologen und religiöse Dogmatiker sind für ihn gefährliche Feinde einer offenen Gesellschaft. Er setzt den Gewissheiten eine Haltung entgegen, „die zugibt, dass ich mich irren kann, dass du recht haben kannst und dass wir zusammen vielleicht der Wahrheit auf die Spur kommen werden“ (Die offene Gesellschaft und ihre Feinde II. Falsche Propheten Hegel, Marx und die Folgen. Tübingen 2003, S. 281).

Eitelkeit, Selbstüberschätzung und Hochmut haben schon oft schwere Managementfehler ausgelöst. Je unübersichtlicher und komplexer die Situation, desto mehr empfiehlt sich eine Haltung intellektueller Bescheidenheit. Es hat seinen guten Sinn, wenn sich Strömungen der Managementlehre auf Popper berufen.

Ein Ziel ist ein vorweggenommenes Ergebnis, Führen mit Zielen ein Managementansatz, für den sich seit der Antike Gewährsleute finden. Der römische Philosoph Seneca (1 – 65) sagt es in einem Brief so: „Wenn man nicht weiß, welchen Hafen man ansteuert, ist kein Wind günstig.“ Zu einem in sich schlüssigen und vollständigen Managementansatz entwickelt hat das Führen mit Zielen seit den 50er Jahren der US-Ökonom Peter Drucker (1909 – 2005). Der Ansatz hat sich in einer zunehmend komplexer werdenden und globalisierten Welt als leistungsstärkstes und anpassungsfähigstes Führungsmodell erwiesen. Es steht im Kern vieler Managementlehren. Aus der sog. Sank Galler Managementlehre ist es ebenso wenig wegzudenken wie aus den Managementstudiengängen der Hochschule der Wirtschaft für Management in Mannheim.

Jede Führungsentscheidung kann sich als falsch erweisen. Selbst eine ausnehmend gute Entscheidung kann sich als korrekturbedürftig entpuppen, wenn sich Umstände ändern. Da Unternehmen offene Systeme sind, die im ständigen Austausch mit ihrer Umwelt stehen, passiert das ständig. Führen heißt am Ende immer, auf schwankendem Boden zu gehen. Wenn sich die Unsicherheit, ob man gerade das Richtige tut, nicht völlig beseitigen lässt, dann hilft nur: Man muss die Folgen prüfen. Zu diesem Zweck nimmt die Sankt Galler Managementlehre Anleihen bei der Kybernetik. Kybernetik ist die Wissenschaft von der Steuerung unbelebter technischer System. In der Managementlehre wird der Ansatz erweitert auf Menschen in Organisationen.

Die zentrale Idee der Steuerungslehre ist es, Rückkopplungsschleifen zu etablieren. Dort wird ständig der Soll-Wert, das voreingestellte Ziel, mit dem Ist-Wert des gerade erreichten Zustands verglichen. Abweichungen lösen Korrekturen aus. In technischen Systeme geschieht das automatisch, im Management müssen Menschen sich einen Reim auf die Differenzen machen. Wichtig ist aber, dass die Abweichungen überhaupt sichtbar werden, denn nur dann kann gehandelt werden. Rückkopplungsschleifen sind die beste Antwort auf Unsicherheiten. Man findet Sie in ISO-Normen, Qualitätsmanagementzirkeln, in den Soll-Ist-Spalten von Budgets, in der Probezeit bei Neueinstellungen, aber auch in der Rechenschaftspflicht der Geschäftsführung gegenüber Aufsichtsrat oder Gesellschaftern.

Rechenschaft und Kontrolle sind unerlässlich. Denn dann wächst Vertrauen. Auch in sich selbst.

Fußnote: Der Autor hat am Beispiel des obigen Textes ein wenig herumprobiert. Die KI-Software ChatGPT fasst den Text so zusammen und rasiert ihn damit sehr scharf: „Am 14. April 2023 wird die europäische Weltraumagentur ESA die Raumsonde Juice zum Jupiter schicken, um nach Spuren von Leben auf dem Jupitermond Ganymed zu suchen. Das Management von Unternehmen ist weniger berechenbar als die Welt der Physiker, da die sozialen Systeme von Menschen gestaltet werden und viele Freiheiten haben. Es gibt keine exakte Wissenschaft, um soziale Systeme zu steuern. Chefs von Organisationen müssen den Zweck der Organisation erfüllen und dennoch offen für die Zukunft sein. Die Managementlehre hat Prinzipien hervorgebracht, die die Erfolgschancen im Management erhöhen. Eine wichtige Prinzip lautet, dass es stets möglich ist, dass man falsch liegt. In der zeitgenössischen Philosophie wird diese Haltung oft mit dem Kritischen Rationalismus von Karl Popper verbunden. Eitelkeit, Selbstüberschätzung und Hochmut sind Feinde einer offenen Gesellschaft.“

Heilige Kühe

Universitäten pochen auf die Exklusivität ihres Promotionsrechts. Wie gut sind ihre Gründe?

Frank Stäudner

„Das Promotionsrecht an Fachhochschulen ist ebenso überflüssig wie schädlich.“ Das sagt der ehemalige Berliner Wissenschaftssenator und Universitätspräsident George Turner. Er ist damit nicht allein. Universitätsprofessorinnen und –Professoren und ihre institutionellen Vertreter sind sich in weit überwiegender Zahl einig, dass die Verleihung eines Doktortitels das alleinige Privileg der Universitäten bleiben müsse. Dieter Lenzen, Präsident der Universität Hamburg, hielt Ende 2016 die Verleihung des Promotionsrechts an die Fachhochschule Fulda für „eine törichte Entscheidung“. Differenzierter äußerten sich die Akademien der Wissenschaften im Juli 2017 in einer Stellungnahme. Zwar stellen auch die Gelehrtenvereinigungen klar: „Ein autonomes Promotionsrecht für Hochschulen für Angewandte Wissenschaften wird von den Akademien nicht befürwortet.“ Aber die Autoren erkennen an, dass die Fachhochschulen und ihre Absolventen ein berechtigtes Interesse an einer Öffnung der Wege zur Promotion haben, das nicht einfach mit Verweis auf die Tradition weggewischt werden kann. Was aber sind die Gründe dafür, dass die Universitäten ihr angestammtes Recht so verbissen verteidigen? Welche Argumente führen die Verteidiger des Promotionsrechts an? Und vor allem: Wie gut sind sie?

Immer wieder lesenswert sind in diesem Zusammenhang die schon etwas älteren Empfehlungen des Wissenschaftsrates über die Vergabe des Promotionsrechts an nichtstaatliche Hochschulen (Drs. 9279-09). Die Autoren erinnern erst einmal daran, was eine Promotion überhaupt ist: „Kernbereich der Promotion ist die Dissertation. Die Dissertation stellt eine eigenständige Forschungsleistung dar, die das Wissen in einem bestimmten Wissenschaftsgebiet verändert und erweitert. […] Dies setzt sowohl ein systematisches Verständnis der jeweiligen Forschungsdisziplin als auch einen Überblick über benachbarte Forschungsgebiete voraus. Typischerweise wird die Promotion daher an der Universität als der die Gesamtheit der Wissenschaften integrierenden Institution abgelegt.“ (WR, a.a.O. S. 7) In Deutschland verleihen die Bundesländer das Promotionsrecht an Universitäten und gleichgestellte Hochschulen. Das Recht ist damit an die Institution gebunden, nicht an einzelne in ihr tätige Personen.

Dies wird leicht übersehen, denn die Betreuer der Dissertation nehmen meist eine markante Rolle ein. Im Begriff des Doktorvater bzw. der Doktormutter findet diese Rolle ihren sichtbaren Ausdruck, die Akademien sprechen von der „mentorenbegleiteten Individualpromotion“ als Grundmodell der akademischen Qualifikationsphase nach dem Erststudium. In der Praxis sorgt die Kombination aus dem Anspruch zu eigenständiger Forschung bei gleichzeitiger Aufsicht durch einen Betreuer regelmäßig für Konflikte. Aber das nur nebenbei.

Festzuhalten bleibt: Das Promotionsrecht ist ein Recht der Institution. Es gehört zu den konstituierenden Merkmalen der Universität. Nicht zuletzt begründet es den Anspruch der Universitäten auf eine exponierte Rolle im Wissenschaftssystem. Das Argument ist zwar zirkulär („Wir sind die Besten, weil wir die Besten sind.“). Aber weil die Position im System – zumal im Vergleich mit den Fachhochschulen – mit Privilegien einhergeht, gilt es sie zu verteidigen.

So weit zu den Gründen. Wie steht es um die inhaltlichen Argumente, warum nur Universitäten das Promotionsrecht ausüben können und sollen? Im Grunde sind es drei.

Das Traditionsargument. Dieter Lenzen sagt es so: „Wir dürfen nicht übersehen, dass das Recht Promotionen durchzuführen seit dem 14. Jahrhundert den Universitäten vorbehalten war.“ Nun ist es allerdings so, dass niemand den Universitäten das Promotionsrecht wegnehmen will. Dadurch büßt der Hinweis auf die historische Kontinuität an Überzeugungskraft ein. Dass etwas weniger wert dadurch wird, dass andere es auch haben, wäre zu prüfen. Außerdem wäre zu fragen, ob die Universität Hamburg heute noch viele Gemeinsamkeiten mit der Universität Padua der Frühen Neuzeit aufweist.

Zugestanden sein den Verfechtern des Traditionsarguments, dass das faktisch über Jahrhunderte Überlieferte zwar kontingent ist, also auch ganz anders hätte sein können, aber für das Selbstverständnis der Institution durchaus gestaltende Wirkungen haben kann und insofern wichtig ist.

Das Argument der fachlichen Breite. Wieder Lenzen: „Dass Universitäten dieses Privileg hatten, hatte den Grund, dass ein sehr breites Fächerspektrum angeboten wird, sodass eine Promotion in eine Vielfalt von Fächern eingebettet ist.“ Ähnlich sieht es der Wissenschaftsrat, wenn er die Fächervielfalt als konstituierendes Merkmal der Universität hervorhebt („ein im Wort „universitas“ angelegtes breites Fächerspektrum, WR, a.a.O. S. 10).

Mit Verlaub: Das klingt gut, ist aber Quatsch. Denn erstens sind die Fakultäten die bestimmenden Organisationseinheiten einer Universität, und der fachliche Austausch über die Fächergrenzen bleibt trotz aller Appelle zur Interdisziplinarität meist überschaubar. Für Wanderer zwischen den Welten, die etwa nach dem Studienabschluss für die Promotion von einer Fakultät in eine andere wollen, sind die Hürden sogar ausgesprochen hoch. Zweitens wird das so genannte Rigorosum zum Abschluss des Promotionsverfahrens mit Prüfung in drei unabhängigen Fächern an kaum einer Universität mehr praktiziert – vor allem deswegen, weil es für die Professoren zeitraubend und aufwändig wäre. Drittens bekämen kleine und mittlere Universitäten, die nicht das volle Fächerspektrum anbieten – also keine „Volluniversitäten“ sind – ein Problem. Sie erfüllen den gestellten Anspruch an „Universalität“ nämlich ebenso wenig wie Fachhochschulen. Andererseits prägen inzwischen Forschungscluster und andere virtuelle und institutsübergreifende Verbundstrukturen die Forschungstätigkeit weltweit. Es ist längst nicht mehr nötig, in Tübingen oder Göttingen alle Fakultäten in enger räumlicher Nähe zu haben, um den wissenschaftlichen Austausch zu ermöglichen. Das aber gilt für alle Hochschulen gleichermaßen.

Das Argument der funktionalen Differenzierung. Es geht ungefähr so: Universitäten bilden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus. Die Promotion ist ein Qualifizierungsschritt auf dem Weg zur eigenständigen Forscherpersönlichkeit mit dem Endziel einer ordentlichen Professur. Andere Hochschulen bereiten ihre Absolventen auf zwar anspruchsvolle, aber nicht im eigentlichen Sinn wissenschaftliche Fach- und Führungspositionen vor. Daher gehört die Promotion an die Universität – und nur dorthin.

Wer das Argument plausibel findet, dem sei erwidert: Die Sache hat mindestens zwei Haken. Erstens will von den knapp 30.000 Doktoren, die in Deutschland jedes Jahr ihre Promotion erfolgreich abschließen, nur ein Fünftel den Wissenschaftlerberuf ergreifen (vgl. https://www.academics.de/wissenschaft/nachwuchsprobleme_58476.html. Zweitens bilden Universitäten in ihren juristischen und medizinischen Fakultäten in erster Linie Praktiker aus.  Nähme man das Argument der funktionalen Differenzierung ernst, gehörte die Ausbildung von Richtern und Anwälten, Zahnärztinnen und Allgemeinmedizinern womöglich eher an eine Fachhochschule. Dass dem nicht so ist, hat seine Gründe in der Tradition. Jura und Medizin gehören nun einmal zu den höheren Fakultäten der mittelalterlichen Universität.

Alles in allem findet der Autor die Argumente für ein exklusives Promotionsrecht der Universitäten nicht sehr überzeugend. Vermutlich irrt er sich. Wer also bis hierhin durchgehalten hat, dem sei Dank abgestattet und die Einladung ausgesprochen, in die Diskussion einzutreten.