Ausflug ins Floskelland

Floskeln sind gefährlich. Es ist die Haupteigenschaft einer abgedroschenen Redewendung, dass jedermann sie sofort versteht. Sie werden daher gern gedankenlos benutzt. Überlegten wir mehr, kämen manche Formulierungen nicht über unsere Lippen. „Sich hinter jemanden stellen“ ist eine davon.

Besonders anfällig ist die Sportberichterstattung für stereotypen Sprachgebrauch. So titelt Spiegel online am 22.9.2014 „Bobic stellt sich hinter Trainer Veh“. Sportvorstand Fredi Bobic, so der Bericht, habe dem Trainer des Fußballbundesligisten VfB Stuttgart Armin Veh ungeachtet mäßiger Resultate eine Jobgarantie gegeben.

Veh sollte sich Sorgen machen. Echte Unterstützung sieht zumindest unter sprachlichen Gesichtspunkten anders aus. Da die Gefahr meist von vorne kommt, stellt sich ein mutiger Beschützer vor den Trainer. Wer dahinter steht, will eher einen Widerstrebenden an einen ungeliebten Ort vor sich her schieben. Besser für Veh wäre es, wenn Bobic ihm den Rücken hätte stärken wollen.

Wie schief die Floskel ist, zeigt ein Blick in die Vergangenheit. Im 18. Jahrhundert zogen Heere in fester Schlachtordnung ins Gefecht. Die Offiziere gingen hinter ihren Truppen – um die einfachen Soldaten am Weglaufen hindern zu können. Die einen fanden wenig Vergnügen daran, sich in fester Formation über den Haufen schießen zu lassen, der andere sollte sich Sorgen machen, was sein Sportvorstand im Rücken so treibt. Denn oft genug läuten Solidaritätsadressen im Fußball den Anfang vom Ende eines Trainerjobs ein.

P.S.: Wer die Zahl der Floskeln in diesem Text an den Autor übermittelt, der bekommt eine Verlinkung auf eine Webadresse eigener Wahl geschenkt.

Frank Stäudner

Hände hoch

Sportler geben sich heutzutage nicht mehr die Hand. Sie klatschen sich ab. Autoritätspersonen wie etwa Schiedsrichter begrüßen sie noch auf die herkömmliche Art. Damit betont das Händeschütteln zugleich Distanz (zwischen Spieler und Referee) und schafft kumpelhafte Nähe (zwischen den Spielern der gegnerischen Mannschaften). Bei der Fußballeuropameisterschaft 2012 ist das gut zu besichtigen. Ein kulturphilosophischer Versuch, diesen Wandel zu verstehen.

Die Tennisspieler haben damit angefangen. Irgendwann nach dem Jahr 2000 entstand eine neue Mode. Spitzenspieler ersetzten das rituelle Händeschütteln nach dem Ende des Matches durch die amerikanische Art der kumpelhaften Begrüßung mit erhobenen Händen. Sie gaben sich „high five“, sie klatschten sich ab. Jahrzehntelang war das  anders. Im Januar 1981 gewann Björn Borg gegen Ivan Lendl das Mastersturnier in New York. Danach gab es zwischen beiden einen konventionellen Handschlag, siehe hier. Auch Boris Becker und Brad Gilbert gaben sich 1989 noch auf konventionelle Weise die Hand, ebenso Jim Courier und Mark Philippoussis 1995 oder Andre Agassi und Pete Sampras 1999 in Wimbledon. 2003 klatschten sich Roger Federer und Andre Agassi nach dem für Federer siegreichen Mastersfinale bereits ab (http://www.youtube.com/watch?v=tTB0-8WuWXo). Seither hat das Abklatschen das normale Händeschütteln in vielen Sportarten verdrängt.

Im Fußball entstand eine besonders interessante Situation. Dort gibt es inzwischen zwei Arten des Händeschüttelns. Untereinander klatschen sich die Spieler kumpelhaft ab, den Schiedsrichtern schütteln sie auf konventionelle Art die Hand. Das war beispielsweise so beim Relegationsrückspiel zwischen Hertha BSC Berlin und Fortuna Düsseldorf am 16. Mai 2012, das ansonsten eher durch den verfrühten Platzsturm der Fans in Erinnerung ist. Auch bei den allermeisten Spielen der jetzt ausgetragenen Fußballeuropameisterschaft praktizieren die Spieler beide Arten des Händeschüttelns. Untereinander klatschen sie sich nach dem Absingen der Hymnen ab, die Schiedsricher bekommen einen normalen Handschlag. Besonders interessant: Auch die Schiedsrichter klatschen sich ab.

Was passiert hier? Ich vermute, dass die Spieler unbewusst zugleich Distanz und Nähe herstellen. Untereinander drückt der erhobene Handschlag Zugehörigkeit aus. Obwohl sich die Spieler beider Mannschaften auf dem Platz als Gegner gegenüberstehen, gehören sie doch alle einer Gruppe an. Zugleich schafft die Variation der Begrüßung Distanz zu den Schiedsrichtern. Hier drückt sich aus: Ihr gehört nicht dazu. Was ja stimmt.

Es werden also Rollenbilder gefestigt, Funktionen bekräftigt und Reviere abgesteckt. Auch andere soziale Gruppen haben Rituale ersonnen, um die Gemeinschaft nach innen zu bekräftigen und die Differenz nach außen zu betonen. Man denke an die elaborierte Begrüßung, die die Bandenmitglieder einer US-amerikanischen Straßengang unter sich austauschen. Ähnliches ist in der Hip-Hop- oder Rap-Szene zu beobachten. Auch auf Schulhöfen wird man fündig: http://videos.rofl.to/clip/lange-begruessung. Jede Gang hat eigene Rituale, Farben, Tätowierungen. All das dient der Betonung der Differenz: Hier sind wir, dort sind die Anderen. Vergleichbares leisten die beiden Arten des Händeschüttelns im Fußballsport. Ob die unter Profifußballern beliebten großflächigen Tätowierungen auch eine soziale Funktion haben und eine bestimmte Botschaft ausdrücken sollen – das ist eine andere Frage. Und gehört in einen neuen Blog. Vielleicht wollen die TV-Fußballexperten Mehmet Scholl und Oliver Kahn die Frage des Händeschüttelns und seiner tieferen Bedeutung demnächst mal erörtern. Sie sind herzlich eingeladen.