Über das Gastrecht und seine Grenzen

„Wer sein Gastrecht missbraucht, hat sein Gastrecht verwirkt.“ Seit den Ereignissen der Silvesternacht 2015 eint der Satz das politische Spektrum Deutschlands von links bis rechts. Am Kölner Hauptbahnhof hatten Gruppen von jungen ausländischen Männern Frauen auf widerlichste Weise bedrängt und sexuell genötigt. Es zeichnet sich ein überparteilicher Konsens ab, Flüchtlinge und Ausländer schneller aus dem Land zu werfen als bisher, wenn sie mit dem Gesetz in Konflikt geraten oder die Werte einer freiheitlichen Gesellschaft mit Füßen treten. Man darf annehmen, dass es unter den Deutschen dafür eine breite Mehrheit gibt. Auch der Autor ertappt sich dabei, wie seine gefestigte linksliberale und fremdenfreundliche Gesinnung zu bröckeln beginnt.

Wie geht man mit Gästen um, die sich nicht zu benehmen wissen? Die Bilder im Kopf sind mächtig. Da lädt man die neuen Bekannten zum Abendessen ein. Der Tisch ist nett dekoriert, vielleicht brennt auch eine Kerze, die Gastgeber haben sogar die störrische Tochter bewegen können, dabei zu sein. Doch kaum sind die Gäste da, pöbeln sie herum, machen anzügliche Sprüche, betatschen Tochter und Ehefrau und versuchen, das Tafelsilber mitgehen zu lassen. Was tut man da? Der Hausherr schmeißt die Leute raus und sorgt dafür, nie mehr etwas mit ihnen zu tun zu haben. So ähnlich soll es jetzt den straffälligen Flüchtlingen ergehen. Dagegen ist doch nicht zu sagen, oder?

Ein kleines Aber möchte ich anbringen, auch gegen die eigene Wut und Empörung. Darf man die üblen Gäste immer und unter allen Umständen rauswerfen? Was wäre, wenn draußen ein Wintersturm tobte und die Leute erfrören? Vielleicht sperrt man sie dann doch lieber in den Keller.

Zurück zu den Flüchtlingen. Strafe muss sein. Aber sie muss zu den uns eigenen rechtsstaatlichen Bedingungen erfolgen. Und wir sollten Menschen nicht dorthin abschieben, wo ihnen Folter und Tod drohen. Sonst geht mehr kaputt als die weltoffene Haltung einer Nation. Dann hätten wir unsere humanistischen Werte selber zerstört und mehr Schaden angerichtet, als es ein enthemmter Mob einiger hundert Männer je tun könnte. Über zusätzliche und vorbeugende Freiheitsbeschränkungen wie Residenzpflicht und strenge Meldeauflagen für verurteilte ausländische Straftäter könnte man aber nachdenken. Kühlen Kopf und ein warmes Herz zu bewahren, das sind wir uns selbst und den Hundertausenden unbescholtener Flüchtlinge schuldig.

Deutschlands Asylunrecht

Gedanken zum Freitod von Mohammad Rahsepar

Die Krone des deutschen Grundgesetzes war bis zum Winter 1992 der Artikel 16: „Politisch Verfolge genießen Asylrecht.“ Dann aber verständigten sich die Parteien Union, SPD und FDP auf einen Asylkompromiss, der in 274 auf den alten Satz folgenden Wörtern das Grundrecht stark einschränkte. Wer aus einem sog. sicheren Drittstaat einreiste, konnte sich fortan nicht mehr auf das Grundrecht berufen. Da alle Nachbarländer Deutschlands als sicher gelten, war eigentlich nur noch eine Flucht mit dem Flugzeug möglich. Mit dem Asylkompromiss wurde außerdem die besonders schäbige Behandlung der Flüchtlinge abgesegnet. Asylbewerber mussten und müssen in Gemeinschaftsunterkünften wohnen, dürfen nicht arbeiten und erhalten deutlich geringere Sozialleistungen als deutsche Staatsbürger.

Asylbewerber standen im Verdacht (der vielfach auch zutraf), verkappte Wohlstandsflüchtlinge zu sein, die sich mangels anderer Möglichkeiten (wie etwa ein Einwanderungsgesetz) als politisch Verfolgte ausgaben. Inzwischen ist das anders. Längst hat sogar die CSU akzeptiert, dass Deutschland Einwanderer braucht. Das Zuwanderungsgesetz von 2004 hat neue Wege geschaffen, um in Deutschland zu leben und zu arbeiten, ohne sich als politischer Flüchtling ausgeben zu müssen.

Die Grundgesetzänderung von 1992 jedoch hat weiter Bestand. Und man muss sie erfolgreich nennen. Die Zahl der Asylbewerber sank stark. Das Thema ist aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Vor wenigen Tagen wurde ich in Berlin in trauriger Weise daran erinnert. Abseits der belebten Friedrichstraße in Berlin erinnerte eine kleine Gruppe von Demonstranten an Mohammad Rahsepar. Der iranische Flüchtling hatte sich am 29. Januar in Würzburg das Leben genommen – aus Verzweiflung über ein Leben, das nur aus Warten bestand, wie in einem begleitenden Flugblatt zu lesen war.

Eine Forderung der Demonstranten ist mir in Erinnerung geblieben. Asylbewerber sollten sich selber eine Wohnung suchen dürfen und nicht länger zwangsweise einem Landkreis zugewiesen werden, den sie dann noch nicht einmal verlassen dürfen. Recht so. Es ist allerhöchste Zeit, dem deutschen Ausländerrecht ein wenig Menschlichkeit zurückzugeben. Wir nehmen Asylbewerbern ich Würde, wenn der Staat sie in alte Kasernen im Nirgendwo pfercht. Mehr noch: Wir nehmen uns selbst unsere Würde, indem wir es tun. Es ist höchste Zeit, den alten Artikel 16 ohne Wenn und Aber und Einschränkungen wieder in Kraft zu setzen. Damit wir Bürger dieses Landes stolz über Deutschland sagen können: Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.