Das Liebesideal

Die steuerliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften  („Homo-Ehe“) mit der Ehe ist umstritten. Konservative Kreis haben an den jüngsten Gerichtsurteilen arg zu schlucken. Dabei ist die Gleichbehandlung nur folgerichtig und geht mit einem Bedeutungswandel der Ehe in den modernen bürgerlichen Gesellschaften spätestens seit dem 19. Jahrhundert einher.

In traditionellen Gesellschaften einst und jetzt dient die Verbindung von Mann und Frau vielen Zwecken, von der materiellen Versorgung  der Töchter bis zur Pflege politischer Freundschaften und der Sicherung des Fortbestehen der Dynastie. Liebe ist nicht immer im Spiel, die gegenseitige Zuneigung der Brautleute war jedenfalls oftmals nicht der entscheidende Impuls, um miteinander die Ehe einzugehen.

Das änderte sich mit dem Idee der Liebesheirat. Seither gilt als konstituierendes Element der Ehe die Liebe zwischen zwei Menschen. Doch wenn es nicht mehr an erster Stelle ums Kinderkriegen geht, dann ist es nur konsequent und folgerichtig, überhaupt nicht mehr auf das Geschlecht der Partner zu schauen. Dieser gesellschaftliche Prozesse findet gerade seinen Abschluss. Wo die Liebe hinfällt, geht den Gesetzgeber nichts mehr an.

Bahngeschichten: Die Liebesschlösser von Köln

Wer oft mit dem Zug aus dem Ruhrgebiet nach Nordbaden fährt, macht seit einiger Zeit in Köln eine spannende Beobachtung. Auf der Hohenzollernbrücke über den Rhein ist ein harter Überbietungswettbewerb im Gange. Tausende Liebesschlösser verzieren das Brückengeländer, mehrheitlich auf der Brückensüdseite. Zunehmend verdrängen übergroße Liebesbekenntnisse die handelsüblichen Vorhängeschlösser. Schwere Fahrradketten sind in Herzform in das Geländer geflochten. Selbstgeschweißte Riesenschlösser in Schuhkartongröße konkurrieren mit herzförmigen Metallplatten, auf denen sich „I und U“ ewige Liebe schwören. Noch wurde kein Bauwagen angekettet. Spätestens dann müsste das Kölner Ordnungsamt einschreiten. Der neue Trend zur Größe und Extravaganz ist symbolisch jedenfalls ziemlich interessant.

Der Brauch ist erst wenige Jahrzehnte alt. Nach Mehrheitsmeinung der Experten wurde er durch einen Roman des italienischen Bestsellerautors Federico Moccia bekannt (siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Liebesschloss). Seither mehren sich die öffentlichen Orte, an denen Liebespaare ein Schloss anschließen und als Zeichen ihrer unverbrüchlichen Liebe und Treue den Schlüssel wegwerfen – gerne in einen Brunnen oder Fluss. Man kann das romantisch oder kitschig finden. Der Kölner Brücke verleihen die Schlösser jedenfalls eine ganz eigene faszinierende Aura. Hier haben viele Menschen Dasselbe getan und dadurch etwas Besonderes geschaffen.

Aber nun passiert etwas Eigenartiges. Manche Paare wollen sich von der Masse abheben. Zwar wollen auch sie vom besonderen Nimbus des Ortes profitieren, der ein Werk der Vielen ist. An den anderen Kölner Brücken sind bisher allenfalls vereinzelte Schlösser aufgetaucht. Auf den ersten Blick haben die Paare die Symbolik auf ihrer Seite: je größer das Schloss, desto größer die Liebe, die es verkörpert.

Man könnte sich aber auch fragen, warum I und U ihre Liebe so raumgreifend öffentlich bekräftigen müssen. Trauen die beiden ihren Gefühlen etwa nicht so ganz? Ist das äußere Bekenntnis deshalb so groß ausgefallen, weil es den kleinen Gefühlen im Innern beider Herzen Halt geben muss?

Ich frage mich außerdem, welchen Sinn das öffentliche Bekenntnis der Liebe überhaupt haben soll. Es mag als Ankerpunkt der Erinnerung dienen, wenn Jahre und Jahrzehnte später die (sich dann hoffentlich immer noch) Liebenden an den Ort zurückkehren. Den Passanten auf der Brücke aber bedeutet das Bekenntnis von I und U nichts. Das Gesamtwerk hingegen hat das Zeug zur Touristenattraktion.

Frank Stäudner

In den Bahngeschichten berichtet der Autor in loser Folge von seinen Reiseerlebnissen in den Zügen der Deutschen Bahn.