Deutungshoheit über die Deutungshoheit

Seit der Gründung des Nationalen Institut für Wissenschaftskommunikation gibt es wieder mal Streit darüber, was Wissenschaftskommunikation kann, soll und darf. Geben wir dem NaWiK eine Chance.

Michael Sonnabend fordert in seinem Blog, dass die Wissenschaft das Zuhören lernen solle. Der Dialog zwischen Forschern und Bürgern finde nicht statt, und wenn doch, sei er durch den „Anspruch auf Deutungshoheit“ verdorben, den die Wissenschaft nicht verlieren wolle. „Es geht um die Verteidigung von Pfründen und das ist der denkbar schlechteste Antrieb, um mit dem Bürger ins Gespräch zu kommen. Denn wer wirklich kommunizieren will, hört erst einmal zu. Und genau das geschieht nicht. Wissenschaftskommunikation kommt mir vor wie eine aufdringliche Person, die sich sozial gibt und dann doch nur von sich selbst spricht“, schreibt Sonnabend. Starke Worte. Das Problem: „Die Wissenschaft“ gibt es nicht. Es gibt Wissenschaftsinstitutionen, Universitäten, Dachorganisationen, Fachverbände. Und es gibt die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Hierarchieebenen, vom Doktorand bis zum Präsidenten. Ich hege die Vermutung, dass nicht alle diese Personen dieselben Interessen teilen. Das gilt auch auf dem Feld der Wissenschaftskommunikation.

Selbst bei den Präsidenten und anderen Oberbossen der Wissenschaften ist nicht so ganz klar, welche Motive hinter dem Engagement für die Wissenschaftskommunikation stecken. Zwar ist es deren wichtigster Job, die Interessen der eigenen Institution zu wahren. Doch selbst auf den Chefetagen findet man doch Indizien, dass das gesellschaftliche Rollenverständnis der Wissenschaftler differenzierter ausfällt, als Sonnabend meint.

So kann zum Beispiel der Berufsverband der Wissenschaftsjournalisten WPK (www.wpk.org) seit der Gründung vor über 25 Jahren auf die Unterstützung der Wissenschaftsorganisationen zählen. Kuratoren und Freunde und Förderer bringen einen nicht unwesentlichen Teil des Budgets auf – ein klares Indiz für die hohe Bedeutung, die den Wissenschaftsjournalisten von den Wissenschaftlern zugemessen wird. Vor allem aber ein Indiz dafür, dass die Chefwissenschaftler Interesse an einem guten und professionellen – das heißt vor allem: unabhängigen – Wissenschaftsjournalismus haben.

Die Entwicklung hat auf beiden Seiten Früchte getragen. Es gibt heute so viel guten Wissenschaftsjournalismus wie nie. (Okay, das muss nicht so bleiben, der Journalismus steckt in der Krise. Aber das ist ein anderes Thema) Und es gibt immer weniger Akteure in Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen, die dem Missverständnis aufsitzen, dass der Wissenschaftsjournalismus in erster Linie eine vermittelnde und übersetzende Funktion habe. Solche Professoren wollen nicht nur eigene Zitate autorisieren, sondern ganze journalistische Artikel gegenlesen (und ggf. korrigieren). Man ist verstimmt, wenn sich Wissenschaftsjournalisten nicht als Sprachrohr der Wissenschaften benutzen lassen. Doch diese Haltung stirbt langsam aus.

Der Grund dafür liegt darin, dass mit den verstärken Aktivitäten der Wissenschaftler in der Wissenschaftskommunikation ebendiese Leute mehr Verständnis für die Interessen und Belange anderer gesellschaftlicher Gruppen entwickelt haben. PUSH führt zu SUP. Waren 1999 die Wissenschaftler angetreten, um für mehr Public Understanding of Sciences and Humanities, PUSH, zu sorgen, entwickelte sich zugleich auch mehr SUP, Scientists’ Understanding of the Public.

In dieser Entwicklung ist die Gründung des Nationalen Instituts für Wissenschaftskommunikation NaWiK (www.nawik.de) ein, wie ich finde, folgerichtiger Schritt. Was er wert ist, sollen seine Gründer und Macher jetzt zeigen. Geben wir ihnen die Chance.

Die falsche Schlacht

Sprachhüter warnen: Die deutsche Sprache ist bedroht. Englisch verdränge sie aus den Wissenschaften. Doch was ist so schlimm daran, wenn schlechtes Englisch schlechtes Deutsch ersetzt? Das Wissenschaftsdeutsch, das in den meisten Disziplinen gepflegt wird, taugt wenig.

Verteidiger der Wissenschaftssprache Deutsch haben ein beliebtes Argument. Es geht so: Wenn deutsche Wissenschaftler auf Englisch publizieren, verlieren sie die gesellschaftliche Bodenhaftung. Verschwindet Deutsch aus den Wissenschaften, verstummt der Dialog zwischen Experten und Laien. In einem Dossier der Literaturwissenschaftlerin Constanze Fiebach für das Goethe-Institut vom Dezember 2010 liest sich das so: „Wenn nun auf das Deutsche als Wissenschaftssprache verzichtet würde, ergäbe sich eine Kluft zwischen den Wissenschaftlern auf der einen und dem Rest der Gesellschaft auf der anderen Seite. … Alltagssprache und Wissenschaftssprache sind im Deutschen eng miteinander verknüpft.“ (Deutsch als Wissenschaftssprache – deutsche Sprache, quo vadis? www.goethe.de/lhr/prj/diw/dos/de6992833.htm)

Dieses Argument ist leider kompletter Unfug.

Zwar gibt es Begriffe aus den Wissenschaften, die den Sprung ins Alltagsdeutsch geschafft haben – der „Quantensprung“ aus der Physik etwa. Seinen Sinn aber hat er dabei ins Gegenteil verkehrt. Der Physiker denkt an eine minimale Zustandsänderung in der Elektronenhülle eines Atoms, normale Leute an einen gewaltigen Fortschritt. So kommt ein winziger Hüpfer zwar groß heraus. Aber als Werkzeug der Verständigung zwischen Laien und Experten ist das Wort nicht mehr zu gebrauchen.

Was die Verteidiger der Muttersprache zudem gern übersehen: Wissenschaftsdeutsch ist schlechtes Deutsch. Die Fachsprache in Aufsätzen und Fachbüchern ist auf unpersönliche Präzision und Abstraktion getrimmt. Das Passiv regiert, es wimmelt von Bandwurmsätzen, und der Nominalstil wuchert durch die Seiten. Dieser Text zum Beispiel darf maximal 300 Wörter haben. Bei Niklas Luhmann (1927 – 1998), dem bedeutenden Bielefelder Soziologen, reicht das für sechs Sätze.

Es dauert gut zehn Jahre, um aus jungen Leuten Wissenschaftler zu formen. Gutes Deutsch bleibt dabei auf der Strecke. Es sind gleichermaßen traurige Alternativen, wenn sich deutschsprachige Forscher in unbeholfenem Englisch oder stillosem Deutsch ausdrücken. Deshalb wäre es wichtig, an den Milieubedingungen der Wissenschaften anzusetzen. Die Kämpfer gegen das Vordringen des Englischen schlagen einfach die falsche Schlacht.

Frank Stäudner

Eine Fassung des Artikels erscheint im Tagungsband zur Konferenz „Deutsch in den Wissenschaften“, die im November 2011 in Essen stattfand. Zur Konferenzhomepage.