Ausflug ins Floskelland

Floskeln sind gefährlich. Es ist die Haupteigenschaft einer abgedroschenen Redewendung, dass jedermann sie sofort versteht. Sie werden daher gern gedankenlos benutzt. Überlegten wir mehr, kämen manche Formulierungen nicht über unsere Lippen. „Sich hinter jemanden stellen“ ist eine davon.

Besonders anfällig ist die Sportberichterstattung für stereotypen Sprachgebrauch. So titelt Spiegel online am 22.9.2014 „Bobic stellt sich hinter Trainer Veh“. Sportvorstand Fredi Bobic, so der Bericht, habe dem Trainer des Fußballbundesligisten VfB Stuttgart Armin Veh ungeachtet mäßiger Resultate eine Jobgarantie gegeben.

Veh sollte sich Sorgen machen. Echte Unterstützung sieht zumindest unter sprachlichen Gesichtspunkten anders aus. Da die Gefahr meist von vorne kommt, stellt sich ein mutiger Beschützer vor den Trainer. Wer dahinter steht, will eher einen Widerstrebenden an einen ungeliebten Ort vor sich her schieben. Besser für Veh wäre es, wenn Bobic ihm den Rücken hätte stärken wollen.

Wie schief die Floskel ist, zeigt ein Blick in die Vergangenheit. Im 18. Jahrhundert zogen Heere in fester Schlachtordnung ins Gefecht. Die Offiziere gingen hinter ihren Truppen – um die einfachen Soldaten am Weglaufen hindern zu können. Die einen fanden wenig Vergnügen daran, sich in fester Formation über den Haufen schießen zu lassen, der andere sollte sich Sorgen machen, was sein Sportvorstand im Rücken so treibt. Denn oft genug läuten Solidaritätsadressen im Fußball den Anfang vom Ende eines Trainerjobs ein.

P.S.: Wer die Zahl der Floskeln in diesem Text an den Autor übermittelt, der bekommt eine Verlinkung auf eine Webadresse eigener Wahl geschenkt.

Frank Stäudner

Wählerbeschimpfung

Weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten hat bei der Landtagswahl in Sachsen am 31.8.2014 die Stimme abgegeben. Regenwetter und das Ende der Sommerferien sorgten für einen Minusrekord von 49,2 Prozent. SPD-Chef Sigmar Gabriel machte noch am Wahlabend CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich für die geringe Wahlbeteiligung verantwortlich. Gabriel nannte es eine „Dummheit“, den Wahltermin auf den letzten Ferientag zu legen. „Man sollte nicht darauf setzen, dass die Wähler im Urlaub sind,“ sagte der SPD-Chef im ZDF.

Anstelle des politischen Gegners hätte Gabriel mit den besseren Gründen die Wähler beschimpfen können. Immerhin gibt es dank Briefwahl keinerlei Grund, die Stimmabgabe zu verpassen. Wem Wählen wichtig war, der konnte es tun. Wenn dennoch weniger als die Hälfte der Sachsen wählen ging, dann war es der Mehrheit eben nicht wichtig genug. Dafür mag es respektable und weniger respektable Gründe geben. Die Diagnose von der Politikverdrossenheit ist schnell bei der Hand. Sie hat nur den Nachteil, dass nicht klar ist, wer für die Verdrossenheit verantwortlich ist. Nach verbreiteter Lesart sind es „die Parteien“, die den Wählern kein attraktives Angebot machen. Vielleicht sind es aber auch „die Wähler“, die nachlässig ihr demokratisches Grundrecht mit Füßen treten.

Nun dürfen Politiker nach etablierter Lehre niemals ihre Wähler beschimpfen. Gabriel blieb daher nur die Attacke auf Tillich. Journalisten haben mehr Freiheiten. Nikolaus Blome vom SPIEGEL hat es vorgemacht: „Koffer auspacken und Buntstifte spitzen war wichtiger, als den Rechtsextremen an jenem Ort eine Lektion zu erteilen, an dem Demokraten so etwas mit Würde erledigen können: an der Urne. Nur gut 48 Prozent, die zweitschlechteste Beteiligung bei einer deutschen Landtagswahl überhaupt, das ist wirklich ein übler Witz. Dafür sollten sich alle Nichtwähler in Sachsen schämen.“

Starke Worte. Dabei trifft eine geringe Wahlbeteiligung alle Parteien. Politikwissenschaftler meinen zwar, dass große Parteien stärker litten, weil die Anhänger kleiner Parteien im Mittel motivierter seien. Aber es haben am letzten Augustsonntag bestimmt auch NPD-Anhänger Buntstifte gespitzt. Am Ende fehlten der NPD 809 Stimmen, die mit 4,95 % den Wiedereinzug in den Landtag an der Elbe verpasste. Was für eine schöne Pointe.