Gedanken zum Freitod von Mohammad Rahsepar
Die Krone des deutschen Grundgesetzes war bis zum Winter 1992 der Artikel 16: „Politisch Verfolge genießen Asylrecht.“ Dann aber verständigten sich die Parteien Union, SPD und FDP auf einen Asylkompromiss, der in 274 auf den alten Satz folgenden Wörtern das Grundrecht stark einschränkte. Wer aus einem sog. sicheren Drittstaat einreiste, konnte sich fortan nicht mehr auf das Grundrecht berufen. Da alle Nachbarländer Deutschlands als sicher gelten, war eigentlich nur noch eine Flucht mit dem Flugzeug möglich. Mit dem Asylkompromiss wurde außerdem die besonders schäbige Behandlung der Flüchtlinge abgesegnet. Asylbewerber mussten und müssen in Gemeinschaftsunterkünften wohnen, dürfen nicht arbeiten und erhalten deutlich geringere Sozialleistungen als deutsche Staatsbürger.
Asylbewerber standen im Verdacht (der vielfach auch zutraf), verkappte Wohlstandsflüchtlinge zu sein, die sich mangels anderer Möglichkeiten (wie etwa ein Einwanderungsgesetz) als politisch Verfolgte ausgaben. Inzwischen ist das anders. Längst hat sogar die CSU akzeptiert, dass Deutschland Einwanderer braucht. Das Zuwanderungsgesetz von 2004 hat neue Wege geschaffen, um in Deutschland zu leben und zu arbeiten, ohne sich als politischer Flüchtling ausgeben zu müssen.
Die Grundgesetzänderung von 1992 jedoch hat weiter Bestand. Und man muss sie erfolgreich nennen. Die Zahl der Asylbewerber sank stark. Das Thema ist aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Vor wenigen Tagen wurde ich in Berlin in trauriger Weise daran erinnert. Abseits der belebten Friedrichstraße in Berlin erinnerte eine kleine Gruppe von Demonstranten an Mohammad Rahsepar. Der iranische Flüchtling hatte sich am 29. Januar in Würzburg das Leben genommen – aus Verzweiflung über ein Leben, das nur aus Warten bestand, wie in einem begleitenden Flugblatt zu lesen war.
Eine Forderung der Demonstranten ist mir in Erinnerung geblieben. Asylbewerber sollten sich selber eine Wohnung suchen dürfen und nicht länger zwangsweise einem Landkreis zugewiesen werden, den sie dann noch nicht einmal verlassen dürfen. Recht so. Es ist allerhöchste Zeit, dem deutschen Ausländerrecht ein wenig Menschlichkeit zurückzugeben. Wir nehmen Asylbewerbern ich Würde, wenn der Staat sie in alte Kasernen im Nirgendwo pfercht. Mehr noch: Wir nehmen uns selbst unsere Würde, indem wir es tun. Es ist höchste Zeit, den alten Artikel 16 ohne Wenn und Aber und Einschränkungen wieder in Kraft zu setzen. Damit wir Bürger dieses Landes stolz über Deutschland sagen können: Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.