Wie schön ist es in Dürrenäsch

Bahngeschichte XIII spielt an einem geschlossenen Bahnübergang. Die Gedanken des Betrachters reisen mit den Zügen nach Süden.

Zwischen Heidelberg und Mannheim liegen 20,8 Kilometer mit dem Rad. Auf den letzten Metern, die Hochschule schon in Sichtweite, legt sich ein Hindernis quer. Am Bahnübergang von Mannheim-Neckarau sind in den letzten Monaten oft die Schranken unten. Wo sonst nur S-Bahnen und Güterzüge rollen, fahren ICEs und TGVs auf ihrer Umleitungsstrecke nach Stuttgart. Wenn sich die Züge von links und rechts unglücklich abwechseln, bilden die Schranken für 20 Minuten eine nervenzehrende Barriere.

Die Minuten kriechen. Autos stauen sich bis zur Hauptstraße, der Dozent wird nervös, ob er es noch pünktlich zur Vorlesung schafft, die in diesen Tagen ein Microsoft-Teams-Meeting ist. Wenn aber die Sonne scheint und der Kopf nach 35 Minuten an der frischen Luft angenehm frei und durchlüftet ist, enteilen die Gedanke in die Ferne. Hinter den getönten Scheiben sind nur einzelne Reisende zu sehen. Die Fernzüge rollen im Sommer 2020 fast leer durchs Land. Wohin zieht es die Menschen? Was ist wichtig genug für eine Bahnfahrt in einer Zeit der sozialen Isolation, um ein Virus einzudämmen? Man weiß es nicht. Güterzüge geben den Gedanken konkreteren Halt. Die Tanks der Bertschi AG sind nach Dürrenäsch in der Schweiz unterwegs. Der Herkunftsort trägt die Punkte auf dem ä als eleganten Querstrich. Warum die Punkte auf dem ü sitzen bleiben dürfen, bleibt das Geheimnis der Designer.

Was ist das für ein Ort, an dem das Logistikunternehmen seinen Sitz hat? Wie schön ist es in Dürrenäsch? Das Internet wird es wissen. Aber nachzuschlagen verbietet sich. Die Güterzüge sollen ihr Geheimnis bewahren. Die Bauzeit ist vorbei. Seit November haben die Tanks der Bertschi AG aus Dürrenäsch die Strecke wieder für sich. Die Gedanken des Dozenten reisen mit ihnen.

Frank Stäudner