Bahngeschichte XII: Die nervigsten Mitreisenden

Bahnfahren ist wunderbar. Schöner als Autofahren allemal. Es gibt keine Mittelspurschleicher oder Drängler. Draußen ziehen schöne Landschaften vorbei. Man kann einen längeren Blick riskieren, ohne sich und andere in Lebensgefahr zu bringen. Sogar ein Restaurant rollt im Fernverkehr mit, dessen Preise zwar etwas gehoben sind, Qualität und Service aber meist stimmen. Wären da nicht die Mitreisenden. Gut, wenn man Ohrstöpsel dabei hat. Doch es gibt Bahnfahrer, die selbst dann den Waggon in einen Vorhof der Hölle verwandeln. Hier sind fünf Typen, aufsteigend nach ihrem Schrecken geordnet, und Tipps, wie man ihnen entgeht.

Platz 5: Der Alleinsitzer

Er hat seine Jacke und kleinere Gepäckstücke kunstvoll auf den Sitzen um sich herum verteilt. So hält er Mitreisende auf Abstand. Man will ja unbekannte Menschen nicht so nah an sich heran lassen, am Ende packt der Platznachbar noch ein streng riechendes Käsebrot aus oder offenbart ungewaschene Füße in stinkenden Socken.

Zum Ärgernis wird der Alleinsitzer in vollen Zügen. Da sollten doch besser die Koffer auf dem Boden sitzen und nicht die Leute. Grummelnd räumt der Platzhirsch nach mehrfachem Nachfragen den Platz frei und würdigt den neuen Nachbarn fürderhin keines Blickes. Das immerhin hat sein Gutes – der Alleinsitzer nötigt niemandem ein Gespräch auf. Besonders nervenstarke Leute verteidigen ihren Einzelplatz selbst an einem Freitagabend zwischen Frankfurt und Mannheim. Typischer Dialog:

Ich: „Verzeihung, ist hier noch frei?“

Er: Guckt weg.

Ich: „Verzeihung, ich rede mit Ihnen. Ist der Platz neben Ihnen noch frei?“

Er: „Tut mir leid. Ich warte noch auf einen Kollegen.“

Wie man ihm entgeht:  Auf dem Bord-WC.

Platz 4: Der Anfänger

Der Anfänger tritt meist paarweise auf. Beide sind jenseits der 60. Sie gehören zu der Hälfte der Deutschen, die noch nie Bahn gefahren ist (Quelle: Verkehrsforscher Heiner Monheim), und kommen aus Stuttgart. Er fährt dort Mercedes, aber der Besuch bei den Enkeln im Norden wäre mit dem Auto doch zu beschwerlich. Und es gibt ja den ICE 578, der die beiden ohne Umsteigen nach Hamburg bringt. Den haben die Kinder empfohlen und dem Bahnanfänger auch gezeigt, wie man ein halbes Jahr vor der Reise den Sparpreis bucht. Er überspielt die Unsicherheit in der unvertrauten Umgebung mit herrischer Geste. Typischer Dialog:

Er, vorwurfsvoll: „Verzeihung, junger Mann, aber Sie sitzen auf unserem Platz. Wir haben reserviert.“

Ich (50): „Sind Sie sicher, dass Sie im richtigen Wagen sind? Hier ist nämlich der Bahncomfortbereich für Vielfahrer.“

Er: „Ist das etwa nicht Wagen 3?“

Ich: „Nein, hier ist Wagen 9. Sie müssen bis ganz ans Ende des Zuges.“

Er: „Das ist ja mal wieder typisch Bahn, man findet sich gar nicht zurecht!“

(Brummend ab.)

Wie man ihm entgeht: Im Speisewagen reisen.

Platz 3: Der Dauertelefonierer

Er (es ist fast immer ein Mann) hat das Mobiltelefon schon beim Einsteigen am Ohr. Klar, Zeit ist kostbar. Wichtige Geschäfte können nicht warten. Er setzt sich in die Ruhezone, da stören die Mitreisenden nicht so, und telefoniert während der gesamten Fahrt. Unterbrochen wird der Redefluss nur durch Tunnel, denn da bricht die Verbindung ab. Typischer Monolog:

„Frau Meier, ich bin jetzt im Zug. Sagen Sie Dr. Schmidt, dass ich erst um 15 Uhr bei ihm bin. Und machen Sie Müller Beine, ich will seine Präsentation heute noch sehen.

(…)

Frau Meier, hören Sie mich noch?

(…)

Frau Meier?

(……)

Frau Meier, ich bin’s wieder. Die Verbindung war weg. Blöde Bundesbahn…“

Wie man ihm entgeht: In der 2. Klasse reisen.

 

Platz 2: Die Männerrunde

Reisen wird erst in der Gruppe richtig schön. Für das Wochenende auf dem Münchener Oktoberfest haben sich alle Kumpel zünftig in Schale geworfen. Das karierte Hemd spannt ein wenig um die Hüften, aber die Lederhose ist wirklich schick. Für die Fahrt nach München empfiehlt sich die Bahn, denn im Zug gibt es Bier. Da kann die lockere Runde schon einmal vorglühen. Die Herren haben Spaß, und das sollen alle hören. In dröhnender Lautstärke – schließlich muss die Musik aus dem tragbaren Musikrekorder übertönt werden – überbieten sich Peter, Schorsch und Kalle gegenseitig mit anzüglichen Witzen und Anekdoten früherer Feiern.

Wie man der Männerrunde entgeht: Nicht im Bordbistro reisen.

 

Platz 1: Das Damenkränzchen

Eine Gruppe Freundinnen in unüberhörbar bester Laune. Die Damen mittleren Alters sind vielleicht auf einem Wochenendausflug nach Berlin oder auf dem Weg in ein Wellnesswochenende im Allgäu. Die mitgeführte Gepäckmenge ist enorm, aber die überzähligen Koffer haben die patenten Damen kurzerhand im Klo verstaut. Zum Reiseproviant gehören alkoholische Getränke in größerer Menge, anders als bei den Männern aber kein Bier. Typischer Dialog:

Wortführerin: „Mädels, Zeit für Sekt. Wer will?“

Alle: „Alle!! Gudrun, du bist die Beste! Hast einfach an alles gedacht!“

„Pikkolöchen!“

„Stößchen!“

Wie man ihnen entgeht: Nicht in der 2. Klasse reisen

Wer kennt weitere Typen, die das Bahnfahren anstrengend machen? Ich freue mich über Ergänzungen. Die Kommentare sind offen.

 

Bahngeschichten: Die Liebesschlösser von Köln

Wer oft mit dem Zug aus dem Ruhrgebiet nach Nordbaden fährt, macht seit einiger Zeit in Köln eine spannende Beobachtung. Auf der Hohenzollernbrücke über den Rhein ist ein harter Überbietungswettbewerb im Gange. Tausende Liebesschlösser verzieren das Brückengeländer, mehrheitlich auf der Brückensüdseite. Zunehmend verdrängen übergroße Liebesbekenntnisse die handelsüblichen Vorhängeschlösser. Schwere Fahrradketten sind in Herzform in das Geländer geflochten. Selbstgeschweißte Riesenschlösser in Schuhkartongröße konkurrieren mit herzförmigen Metallplatten, auf denen sich „I und U“ ewige Liebe schwören. Noch wurde kein Bauwagen angekettet. Spätestens dann müsste das Kölner Ordnungsamt einschreiten. Der neue Trend zur Größe und Extravaganz ist symbolisch jedenfalls ziemlich interessant.

Der Brauch ist erst wenige Jahrzehnte alt. Nach Mehrheitsmeinung der Experten wurde er durch einen Roman des italienischen Bestsellerautors Federico Moccia bekannt (siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Liebesschloss). Seither mehren sich die öffentlichen Orte, an denen Liebespaare ein Schloss anschließen und als Zeichen ihrer unverbrüchlichen Liebe und Treue den Schlüssel wegwerfen – gerne in einen Brunnen oder Fluss. Man kann das romantisch oder kitschig finden. Der Kölner Brücke verleihen die Schlösser jedenfalls eine ganz eigene faszinierende Aura. Hier haben viele Menschen Dasselbe getan und dadurch etwas Besonderes geschaffen.

Aber nun passiert etwas Eigenartiges. Manche Paare wollen sich von der Masse abheben. Zwar wollen auch sie vom besonderen Nimbus des Ortes profitieren, der ein Werk der Vielen ist. An den anderen Kölner Brücken sind bisher allenfalls vereinzelte Schlösser aufgetaucht. Auf den ersten Blick haben die Paare die Symbolik auf ihrer Seite: je größer das Schloss, desto größer die Liebe, die es verkörpert.

Man könnte sich aber auch fragen, warum I und U ihre Liebe so raumgreifend öffentlich bekräftigen müssen. Trauen die beiden ihren Gefühlen etwa nicht so ganz? Ist das äußere Bekenntnis deshalb so groß ausgefallen, weil es den kleinen Gefühlen im Innern beider Herzen Halt geben muss?

Ich frage mich außerdem, welchen Sinn das öffentliche Bekenntnis der Liebe überhaupt haben soll. Es mag als Ankerpunkt der Erinnerung dienen, wenn Jahre und Jahrzehnte später die (sich dann hoffentlich immer noch) Liebenden an den Ort zurückkehren. Den Passanten auf der Brücke aber bedeutet das Bekenntnis von I und U nichts. Das Gesamtwerk hingegen hat das Zeug zur Touristenattraktion.

Frank Stäudner

In den Bahngeschichten berichtet der Autor in loser Folge von seinen Reiseerlebnissen in den Zügen der Deutschen Bahn.