Bahngeschichte XI: Die Begleitperson

Schwerbehinderte dürfen in öffentlichen Verkehrsmitteln eine Begleitperson kostenlos mitnehmen. Der Anspruch folgt aus elementaren Grundrechten. Er darf aber nicht missbraucht werden. Zwei ärgerliche Beispiele.

Der bekannte Autor und Behindertenaktivist Raul Krauthausen hat heute einer Schwarzfahrerin geholfen. Sein Tweet darüber erhielt binnen weniger Stunden rund 20 beifällige Kommentare, wurde hundertfach geteilt und besternt (hier geht’s zum Tweet und den Interaktionen).

S-Bahn: „Fahrausweise bitte!“
Ich roll durch die Reihen & frage wer ein Ticket braucht. Ältere Dame meldet sich und wird meine Begleitperson

Was auf den ersten Blick wie ein spontaner freundlicher Akt aussieht, wirft eine interessante ethische Frage auf und entpuppt sich – um das Ergebnis vorwegzunehmen – als Missbrauch eines Privilegs.

Schwerbehinderte dürfen in öffentlichen Verkehrsmitteln eine Begleitperson kostenlos mitnehmen. Menschen, die eine Laune der Natur in den Rollstuhl zwingt oder in anderer Weise hilfsbedürftig macht, sollen so mobil sein könnnen wie alle anderen Leute auch. Was aussieht wie ein Privileg, ermöglicht Menschen mit Behinderung also erst die gleichberechtigte Teilhabe und Teilnahme am öffentlichen Leben. Begleitpersonen in der Bahn mitzunehmen ist also gar keine Bevorzugung, sondern nur der Ausgleich eines Nachteils. Der Anspruch darauf folgt aus den Grundrechten. Der öffentliche Raum soll allen Menschen in gleicher Weise zugänglich sein. Das wird allgemein akzeptiert, auch wenn es Geld kostet.

Was aber, wenn ein Rollstuhlfahrer spontan eine Schwarzfahrerin als Begleitperson ausgibt und diese so davor schützt, erwischt zu werden? Dann verwandelt sich der selbstverständliche Anspruch in ein Privileg, genauer: in dessen Missbrauch. Schwarzfahren gilt vielen Menschen zwar als Kavaliersdelikt. Die Berliner Verkehrsbetriebe sind eine unpersönliche Institution, da fällt der Diebstahl leicht. Diebstahl? Klar! Die Gesamtheit der Schwarzfahrer beklaut die Gesamtheit der ehrlichen Fahrgäste um diejenige Summe, die die Tickets preiswerter sein könnnten, wenn alle für die Beförderung bezahlten. Das sind zwar in jedem einzelnen Fall nur Bruchteile eines Cents. Ein Diebstahl bleibt es gleichwohl. Indem Krauthausen ihn unterstützt, macht er sich zum Komplizen. Es erzeugt bei mir einen zusätzlichen schalen Beigeschmack, dass sich der Behindertenrechtsaktivist damit öffentlich schmückt.

Wie schmal der Grat zwischen ethisch gut begründetem Anspruch und Missbrauch eines Privilegs sein kann, verdeutlicht die folgende Geschichte. Vor einigen Jahren sprach mich im Kölner Hauptbahnhof ein sehbehinderter Mann an. Wohin ich denn wolle? Ich könne als seine Begleitperson doch kostenlos mitfahren. Nach einigem Herumgedruckse stellte sich raus, dass der Herr gar kein bestimmtes Ziel hatte, mich aber für drei Viertel des regulären Fahrpreises nach Mannheim begleitet hätte. Ich habe das Angebot dankend abgelehnt. Ein paar Wochen später sah ich den Herrn im ICE nach Berlin wieder, da hatte er einen Anzugträger im Schlepptau, der anscheinend weniger Skrupel hatte.

Der Mann hatte seine Einschränkung offenbar recht erfolgreich zum Beruf gemacht. Er verdiente Geld damit, sich Reisenden als Begleitperson anzudienen. Den Schaden hat aber nicht die Deutsche Bahn. Am Ende sind es erneut die ehrlichen Fahrgäste, die diese Trickserei durch erhöhte Ticketpreise bezahlen. Ich kann daran nichts Ehrenhaftes finden. Rein gar nichts.

 

 

Bahngeschichte X: Laternenparker bei der Bahn

An manchen Bahnhöfen sieht man sie noch: Ringlokschuppen mit Drehscheibe. Dort rostet die Weiche vor sich hin, sie wird sich nicht mehr drehen. Fenster sind eingeworfen, das Dach ist eingesunken. Nur wenige Schuppen haben ein neues Leben als Konzertsaal gefunden.

In den fächerförmig um eine Drehscheibe angeordneten Gebäuden wurden Dampflokomotiven gewartet. Deren Antrieb bedurfte viel mehr Pflege als die Elektromotoren von heute. Das Bild zeigt den Ringlokschuppen im Bahnbetriebswerk Frankfurt-Nied im Jahr 1939 – für den Lokschuppen war das eine bessere Zeit als heute, für alle anderen nicht. Aber das ist eine andere Geschichte. Heute stehen die Züge auf einfachen Abstellgleisen herum, wenn sie nicht im Einsatz sind. Die mühsame Arbeit des An- und Abkoppelns von Waggons und Lokomotiven gibt es im Personenverkehr der Deutschen Bahn praktisch nicht mehr.

Autofahrer und Gelegenheitsbahnfahrer schimpfen ja gern auf die Bahn. Sie sei zu teuer, zu unzuverlässig und zu unbequem. Dabei sind sich PKW und Zug zumindest im Parken gleich geworden. Die meisten Autos stehen wie die Züge unter freiem Himmel. Unter Mobilitätsexperten spricht man von „Laternenparkern“. Das sind Autofahrer, die ihren Wagen nicht in der eigenen Garage oder im Parkhaus abstellen, sondern am Straßenrand – eben unter der Laterne. In Großstädten ist das die Mehrzahl der Leute. Und die Deutsche Bahn gehört mit ihren Zügen dazu. Was die Parallele zu bedeuten hat, fragen Sie. Ich habe keine Ahnung. Aber in den Lokschuppen gehe ich für ein Konzert gerne.

Das Ende der Kontrolle

Der Journalismus hat seine Torwächterfunktion verloren. Jeder ist ein Autor. PR-Manager sollten sich damit abfinden, das Bild der eigenen Firma in der Öffentlichkeit nicht länger steuern zu können. Um so wichtiger wird es, durch redliche Geschäftstätigkeit und eine auf Wahrhaftigkeit und Nachhaltigkeit ausgerichtete Kommunikationskultur jeder Art von skandalisierender Berichterstattung vorzubeugen.

Es gibt sie noch: Kommunikationsmanager der alten Schule. Sie versuchen mit aller Macht, das Bild der eigenen Institution in der Öffentlichkeit zu kontrollieren. Diese PR-Verantwortlichen erkennt man daran, dass sie missliebige Journalisten vom Presseverteiler streichen. Daran, dass sie Agenturen beauftragen, die den Kunden versprechen, Beiträge in den Medien zu „platzieren“. Daran, dass sie das von handzahmen Redakteuren zur Autorisierung vorgelegte Interview mit dem Vorstandsvorsitzenden auch mal komplett umschreiben. Doch alle diese Versuche sind vergeblich. Das Internet hat uns alle zu Autoren gemacht. Die Journalisten haben ihre Türhüterfunktion über die veröffentlichte Meinung verloren. In dieser Situation gibt jeder Kommunikationsmanager, der die Kontrolle zu behalten versucht, ein peinliches Bild ab. Diese Kollegen ähneln einem Rothirsch in der Brunft. Dessen Job ist unglaublich anstrengend, das Verhalten sieht seltsam aus, und der Erfolg ist höchst ungewiss. So lautete meine These in einem Vortrag an der SRH Hochschule für Wirtschaft und Medien in Calw am 1. April 2015. Die Charts habe ich am Ende des Beitrags dokumentiert.

Der ADAC-Skandal des Jahres 2014 lieferte ein Lehrbeispiel für die Kardinalfehler der Public Relations. Zwei Tage vor der Verleihung des „Gelben Engels“ berichtete die Süddeutsche Zeitung über Manipulationen bei der Wahl des „Lieblingsautos der Deutschen“ (Beitrag im SZ-Archiv). Die Führungsetage des Clubs wies die Vorwürfe zunächst empört zurück. Bald stellten sich die Enthüllungen aber als wahr heraus. Viele Publikumsmedien stürzten sich mit Lust in die Recherche. Es folgte Bericht um Bericht über selbstherrliche Funktionäre und unsaubere Geschäfte. Am Ende lag die Reputation des Automobilclubs in Trümmern.

Selbst die geschickteste Krisenkommunikation hätte den Skandal nicht verhindert. Schließlich waren die Vorwürfe wahr. Es wäre aber möglicherweise gelungen – und der Autor ist sich des Problems kontrafaktischer Spekulationen bewusst -, dem Skandal die Spitze zu nehmen. Ein Rücktritt der Vereinsführung, externe Aufklärer, Demut und der ernsthafte Wille zur Umkehr hätten die völlige Zertrümmerung des öffentlichen Ansehens womöglich verhindern können. Doch dafür war es schon zu spät, als ADAC-Geschäftsführer Karl Obermair sich zwei Tage nach dem Bekanntwerden der ersten Vorwürfe zur Attacke entschloss. Denn dadurch kam zu den Verfehlungen noch eine Lüge hinzu. Eine Chronologie der Ereignisse findet sich hier: ADAC-Skandal2014-Handout (das Arbeitsblatt hat der Autor in Calw eingesetzt).

Eine alte Regel der PR hatte sich wieder einmal bestätigt: Die schlimmsten Fehler werden immer am Anfang gemacht. Die Zuhörer in Calw meinten denn auch, dass der ADAC durch das aggressive Leugnen das Feuer des Skandals erst richtig angefacht hatte. Das stimmt. Es gilt dennoch zu bedenken, wie leicht es ist, diese Fehler zu machen. Zu Beginn vermag sich noch keiner der Akteure so recht vorzustellen, welche gigantischen Ausmaße der Skandal annehmen könnte. Es gehört nur wenig Phantasie dazu, sich die Wut der Clubführung vorzustellen: Da kommen ein paar dahergelaufene Redakteure einer Tageszeitung daher, machen eine schöne Feier kaputt und versuchen, einem der mächtigsten Verbände des Landes ans Bein zu pinkeln. Doch gerade dann, wenn eine Institution über Jahrzehnte unangefochten war, käme es darauf an, diese ersten Impulse zu unterdrücken. Noch besser wäre es allerdings gewesen, wenn der Club durch ein sauberes Geschäftsgebaren gar nicht erst das Material des Skandals geliefert hätte. Vielleicht ist das die wichtigste Regel für zeitgemäße PR überhaupt in einer Zeit der Vielstimmigkeit: Nachhaltige Kommunikation bedeutet zuallererst Redlichkeit im Business.

Hier die Charts: Praesentation-Calw1.4.15