Das Heidelberger Social-Media-Experiment

Bei der Heidelberger Oberbürgermeisterwahl 2014 wird sich Amtsinhaber Eckart Würzner durchsetzen. Mangels aussichtsreicher Gegenkandidaten ist die Wahl eine Formsache. Das macht ein kleines Twitterexperiment möglich. Gebt eure Stimme einem Kandidaten, der nicht auf dem Wahlzettel steht. Demonstriert damit die Reichweite sozialer Medien. Wählt mich.

Aktualisierung vom 27.10.2014. Eckart Würzner ist längst gewählt. Weil aber 1211 Stimmen auf freie Kandidaten entfielen, gab es das amtliche Endergebnis erst heute. Eine ganze Reihe von bekannten und weniger bekannten Personen erhielten sechs Stimmen oder mehr. Der sympathische Ex-Gemeinderat Derek Cofie-Nunoo bekam mit 69 Stimmen die meisten ab. Die beiden Twitterexperimentatoren Lars Fischer (@fischblog) und ich tauchen nicht in der Liste auf. Damit darf das Social-Media-Experiment als gescheitert gelten. Oder als produktiver Fehlschlag. Denn eine mögliche Interpretation könnte lauten: Twitterer sind für jeden Unfug zu haben, aber nicht für Scherze mit ernsthaften Angelegenheiten wie demokratischen Wahlen.

Am Sonntag, den 19.10.2014 wählen die Heidelberger Bürgerinnen und Bürger ihren Oberbürgermeister. Der parteilose Amtsinhaber Dr. Eckart Würzner stellt sich erneut zur Wahl. Ihn unterstützt ein breites Bündnis der bürgerlichen Parteien. Gegen Würzner tritt der ebenfalls parteilose Alexander Kloos an, der schon bei der letzten Wahl 2006, damals noch neben acht Konkurrenten, einen Anlauf genommen hatte. SPD und Grünen war es diesmal nicht gelungen, einen namhaften Gegenkandidaten zu finden. Alles andere als ein deutlicher Sieg für Würzner mit absoluter Mehrheit im ersten Wahlgang wäre eine faustdicke Überraschung.

Zwar stehen auf dem Wahlzettel nur die Namen Würzner und Kloos. Die Wähler sind aber frei, auch andere Namen auf den Stimmzettel zu schreiben. Bei der Stichwahl im November 2006 machten immerhin 23 Wahlberechtigte davon Gebrauch (siehe amtliches Endergebnis der OB-Wahl 2006). Die Wählbarkeit ist so definiert: „Wählbar sind Deutsche im Sinne von Artikel 116 Absatz 1 des Grundgesetzes und Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union, die vor der Zulassung der Bewerbungen in der Bundesrepublik Deutschland wohnen; die Bewerber müssen am Wahltag das 25., dürfen aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet haben und müssen die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit für die freiheitliche, demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintreten.“ Es ist zwar noch nie vorgekommen, dass ein Überraschungskandidat auf diese Weise gewählt wurde. Er oder sie müsste das Amt auch nicht antreten. Aber wenn eine Person mindestens sechs Stimmen erhält, dann muss sich der Wahlausschuss damit befassen.

Ich lade die in Heidelberg wahlberechtigten Leserinnen und Leser dieses Blogs zu einem kleinen Social-Media-Experiment ein: Geben Sie mir („Dr. Frank Stäudner“) Ihre Stimme bei der OB-Wahl am 19. Oktober 2014. Ich habe weder ein Wahlprogramm noch die Absicht, mich in der Kommunalpolitik einzumischen. Aber ich werde später an dieser Stelle über das Ergebnis berichten. Phantasienamen („Mickey Maus“) machen den Wahlzettel übrigens ungültig.

Es gibt naheliegende Einwände gegen das Experiment.

1) Freie, gleiche und geheime Wahlen sind das Herzstück der Demokratie. Damit darf man keine Scherze treiben. Außerdem verhöhnt es die ernsthaften Kandidaten.

2) Das so genannte Experiment beweist nichts. Weder sind die Fallzahlen groß genug für eine aussagefähige Statistik, noch lassen sich die Randbedingungen kontrolliert variieren.

Ich erwidere: Die Freiheit in einer Demokratie drückt sich insbesondere darin aus, dass ein Wähler mit seiner Stimme tun kann, was er will, und niemandem Rechenschaft schuldet. Es läge mir fern, Kloos und Würzner zu nahe treten zu wollen, die ich beide für honorige Männer halte. Ich vertraue auf ihre Souveränität. Gut möglich, dass das Twitterexperiment nichts beweist. Aber wenn man immer wüsste, was bei Experimenten rauskommt, dann müsste man sie nicht machen.

In diesem Sinn danke ich schon im Voraus recht herzlich für Aufmerksamkeit und Unterstützung.

Frank Stäudner

 

Corporate Publishing tut dem Journalismus gut

Staatliche Museen und Theater geben journalistisch gut gemachte Magazine und Hefte heraus. Sie bezahlen das aus öffentlichen Mitteln. Johann Schloemann kritisiert dieses „neue Staatsfeuilleton im subventionierten deutschen Kulturföderalismus“ (Süddeutsche Zeitung vom 15.5.2014, hier online: „Das neue Staatsfeuilleton“). Eine ähnliche Entwicklung ist schon seit Jahren im Wissenschaftsjournalismus zu beobachten. Darauf weisen @fischblog, @tre_bol und andere auf Twitter hin. Aber ist das ein Problem? Ich meine: nein.

Schloemann beschreibt eine auf den ersten Blick gute Entwicklung. Anspruchsvolle journalistische Darstellungsformen breiten sich aus dem Feuilleton in andere journalistische Themenfelder aus. Autoren und Künstler erhalten gut bezahlte Aufträge im Corporate-Publishing-Sektor. Dem bekannten Münchener Feuilletonredakteur aber behagt das nicht so recht:

„Es ist nicht leicht, das neue Staatsfeuilleton im subventionierten deutschen Kulturföderalismus als Problem zu benennen. Zu leicht gerät man in das Netz von Neid und Betriebsnähe, von dem hier eingangs die Rede war. Viele gute Kollegen, viele geschätzte Autoren beteiligen sich daran. Aber man sollte sich trotzdem fragen, was für eine öffentliche Sonderwelt da herangewachsen ist.

Die staatlichen Organe zahlen auch oft stattliche Honorare, was den schrumpfenden Honorartöpfen vieler Zeitungen ebenso zusetzt wie den kleineren Kulturzeitschriften. Manches am Staatsfeuilleton ist Volksbildung, anderes aber ist eher „Corporate Publishing“, nur dass die Firma hier der Staat ist und der Kunde sein Steuerzahler.“

Die Kritik ist zart formuliert und nur angedeutet. Zugespitzt lesen sich die Argumente etwa so:

1. Eigene Magazine herauszugeben gehört nicht zum Auftrag öffentlicher Kulturinstitutionen. Wenn sie es dennoch tun, vergeuden sie Steuergelder.

2. Die staatlichen Auftraggeber verderben die Preise. „Echter“ Journalismus hat es dadurch schwer.

Im Wissenschaftsjournalismus wird schon seit Jahren eine vergleichbare Qualitätsdebatte geführt. Große Wissenschaftsorganisationen, Wissenschaftsförderorgansationen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft oder der Stifterverband geben viel Geld aus, um Themen aus der Wissenschaft anspruchsvoll journalistisch aufzubereiten. Der Autor dieser Zeilen hat das selber viele Jahre an verantwortlicher Stelle getan. Argument 1 trifft auch Leibniz-Gemeinschaft, Max-Planck-Gesellschaft und andere, bis hin zum Bundesforschungsministerium. In der älteren Debatte taucht häufig ein weiteres Argument auf:

3. Wissenschafts-PR ist interessengeleitet und von daher gar kein Journalismus. Wenn die Herausgeber dennoch so tun, als informierten sie objektiv über Themen aus Forschung und Wissenschaft, so führt das die Leser in die Irre. Das ist eine milde Form von Betrug.

Alle drei Argumente lassen sich leicht entkräften.

1. Werbung für die eigenen Produkte zu machen und die Kundenbindung zu pflegen gehört zur originären Aufgabe von Theatern und Museen. Zur Aufgabe von Wissenschaftsorgansationen gehört, die Öffentlichkeit über die eigene Arbeit zu informieren. Eine weitere wichtige Aufgabe ist es, die eigenen Interessen so zu vertreten, dass die Arbeitsfähigkeit gesichert bleibt. PR ist legitim, ein Magazin kann im Kommunikationsmix ein wichtiges Element sein.

2. Aus den Geschäftsführungsetagen des Journalismus gibt es immer wieder den Ruf nach direkten staatlichen Subventionen, um die Rolle der „vierten Gewalt“ für Rechtsstaat und Demokratie zu stärken. Vor diesem Hintergrund fände ich eine gewisse Entspanntheit gegenüber indirekten Subventionen ganz angebracht. Denn um nichts anderes als eine indirekte Subvention handelt es sich, wenn Autoren und Journalisten für PR-Aufträge angemessene Honorare erhalten. Diese Honorare ermöglichen es vielen meist freien Journalisten überhaupt erst, originär journalistische, aber schlecht bezahlte Aufträge anzunehmen.

3. Die Leser sind nicht dumm. Sie würden es merken, wenn ihnen tendenziöse Sichtweisen untergejubelt werden sollen. Und wo nicht, gibt es fähige Journalisten, die den Beeinflussungsversuch aufdeckten. Der Schaden an der Reputation wäre riesig und stünde in keinem Verhältnis zum schnellen Nutzen. Weil das so ist und die meisten Wissenschaftsorganisationen professionell arbeiten, passiert das nicht.

Ok. Vielleicht passiert es doch. Aber selten. Und die Frage, wie weit es mit der Objektivität und Unabhängigkeit des Journalismus überhaupt her ist – die steht auf einem anderen Blatt.