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Über staudner

Physiker, Wissenschaftsphilosoph und Hochschulexperte. Machte 15 Jahren Wissenschaftskommunikation in leitender Funktion. Jetzt Professor an einer privaten Hochschule. Hobbies: Philosophie, Radsport. 1996 als Gründer des ersten deutschen Online-Philosophiemagazins Tabula rasa noch vorne dabei in der Webwelt, heute längst ein Computerdinosaurier.

Die ganz große Koalition der Bevormundung

Sollen Menschen Hilfe bekommen, die sterben wollen, aber sich nicht selbst töten können? Sollen sie vielleicht sogar einen Anspruch auf aktive Sterbehilfe haben? Kirchen, Prominente wie Franz Müntefering, Ärzteverbände und Parteien sagen Nein. Mich überzeugen die Argumente nicht. Ein Plädoyer für Autonomie und Freiheit am Lebensende.

Gegner aktiver Sterbehilfe führen typischerweise fünf Argumente für ihre Position an.

Argument 1: Menschen könnten sich gegen ihren Willen zum Sterben genötigt fühlen.

Müntefering und andere beschwören das Bild des alten Mütterchens herauf, das seinen Verwandten nicht länger zur Last fallen will und sich deshalb für den Freitod entschließt oder von diesen dazu gedrängt wird. Das Bild ist so eindrücklich, dass es leicht überdeckt, wie wackelig die Hypothese ist. Nötig wäre ein empirischer Beleg dafür, dass es das Mütterchen (und dessen ruchlose Verwandtschaft) überhaupt gibt. Dass die Zahl assistierter Freitode alter Menschen in Ländern wie den Niederlanden mit liberaler Sterbehilfepraxis nicht steigt, spricht dagegen.

Hinzu kommt, dass Autonomie und Freiheit des Einzelnen zu den wichtigsten Grundwerten unserer Gesellschaft gehören. Ein ganzes Erwachsenenleben lang treffen wir eigenverantwortlich Entscheidungen. Viele sind gut, andere dumm, manche für Dritte nicht nachvollziehbar. Wieso das am Lebensende und im Angesicht der letzten Fragen plötzlich anders sein soll, will mir nicht in den Kopf.

Wie wäre es, aktive Sterbehilfe zu gestatten, aber eine Beratungspflicht einzubauen? Das könnte die Sorge der Gegner lindern, dass sich jemand unter Zwang das Leben nehmen will. Die Regelung zur Abtreibung mit Fristenlösung und Schwangerenkonfliktberatung könnte als Vorbild dienen.

Argument 2: Die Palliativmedizin kann das Leid am Lebensende so weit lindern, dass Sterbehilfe nicht nötig ist.

Mag sein. Doch wäre es eine Bevormundung, die mit den Prinzipien unserer freiheitlichen Gesellschaft unvereinbar ist, Menschen das Recht auf den eigenen Tod zu verweigern. Der Schriftsteller Wolfgang Herrndorf (1965 – 2013) beschreibt in „Arbeit und Struktur“ sehr eindrücklich, wie befreiend für ihn das Wissen war, seinem Leben selbstbestimmt ein Ende setzen zu können.

Argument 3: Was, wenn der Todeswunsch einer Krankheit entspringt, die die Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigt?

Kranke müssen behandelt werden. Ansonsten gilt: Gesunde haben Aspruch auf Respekt vor ihren Entscheidungen.

Argument 4: Gott hat die Selbsttötung verboten. Also ist Sterbehilfe Sünde.

Deutschland ist im Prinzip ein laizistisches Land. Kirche und Staat sind getrennt (auch wenn das nicht überall sauber durchgehalten wird). Glaubensgemeinschaften dürfen Regeln für die eigenen Mitglieder erlassen. Sie haben aber keinen Anspruch darauf, andere zu bevormunden.

Argument 5: Es ist ein Unding, am Sterben anderer Menschen Geld zu verdienen.

Friedhofsgärtner, Steinmetze und Bestatter verdienen ihr Geld mit dem Tod. Das findet auch keiner anrüchig. Hinzu kommt: Ein Sterbehilfeverein gefährdet nicht die Jugend und beeinträchtigt Dritte nicht in ihrer Entfaltung. Es gibt aus meiner Sicht somit keine Gründe, die Gewerbefreiheit einzuschränken.

Argument 6: Auf A wie aktive Sterbehilfe folgt bald E wie Euthanasie.

Das ist kein Argument, sondern der Popanz eines Arguments. Das Argument rührt zwei Dinge zusammen, zwischen denen ein tiefer Graben liegt. Auf der einen Seite geht es um die Hilfe bei der Selbsttötung eines erwachsenen Menschen mit wachem Verstand, auf der anderen Seite um die Frage, ob der Staat oder irgendeine andere Instanz darüber bestimmen darf, Menschen zu töten, die sich selbst nicht artikulieren können. Zu behaupten, die meisten Menschen könnten nicht den Unterschied erkennen, beleidigt den Verstand.

Man kann Ersteres entschieden bejahen, und Letzteres ebenso entschieden ablehnen. So wie ich es tue.

Rausgeworfenes Geld

 Ein Plädoyer für sparsame Werbung für Weiterbildungsangebote

Weiterbildungsanbieter bewegen sich auf einem umkämpften und stark geschichteten Markt. Es findet sich immer ein Seminarveranstalter, der die vermeintlich selbe Sache billiger anbietet. Das Dozentenhonorar lässt sich hier noch ein wenig drücken, die Zahl der Kursteilnehmer da noch ein wenig erhöhen. Blöd nur, dass dann die Qualität des Angebots leidet. Die Preisspannen sind ohnehin riesig. Den Grundkurs Philosophie der Volkshochschule Heidelberg mit sechs Abendterminen gibt es für 40 Euro. Für den Besuch eines zweitägigen Wirtschaftskongresses, den prominente Redner zieren, werden schnell mal 2500 Euro fällig. Erschwerend kommt hinzu, dass Qualität und Preis keineswegs korrelieren müssen.

Das liegt unter anderem daran, dass die Werbung ein enormer Kostentreiber ist. Es gibt Weiterbildungsanbieter, die die Hälfte des Umsatzes für Anzeigen, Flyer und andere Werbemaßnahmen aufwenden. Nun nützt das schönste Weiterbildungsangebot nichts, wenn niemand davon erfährt. Dennoch ist aus meiner Sicht Zurückhaltung angebracht. Seriöse Weiterbildungsanbieter sind gut beraten, teuere Werbekampagnen und Anzeigen behutsam einzusetzen. Zwei Argumente sprechen dafür – ein  pragmatisches und ein ethisches.

Das pragmatische Argument. Anzeigenwerbung ist teuer und nutzlos. Von Marketingpionier John Wanamaker (1838 – 1922) stammt der berühmte Satz: „Half the money I spend on advertising is wasted; the trouble is I don’t know which half.“ Doch wenn die Hälfte des Werbebudgets rausgeschmissenes Geld ist, gibt es dann nicht kostengünstigere Wege? Die gibt es in der Tat. Die Pflege von Empfehlungsnetzwerken mit regelmäßigen elektronischen News wäre eine Option, um die wichtigsten Multiplikatoren, zufriedene Absolventen, zu gewinnen. Vor allem aber ist ein aussagekräftiger und aktueller Internetauftritt längst unverzichtbar. Der Verzicht auf zwei Anzeigen wiegt das Gehalt für den Webredakteur im Monat locker auf.

Ein Problem sei nicht verschwiegen: Internetinfos erreichen nur die Weiterbildungskunden, die schon wissen, wonach sie suchen. Um Kunden überhaupt erst auf den Geschmack oder die Idee zu bringen, bedarf es anderer Dinge. Klassische Werbung wird also weiter ein Mittel sein. Wenn sie doch nur nicht so teuer wäre!

Das ethische Argument. Einen maßgeblichen Teil des Umsatzes für Werbung auszugeben, benachteiligt die Kunden. Denn diese kommen letztlich mit ihren Seminargebühren für alle Unkosten auf. Sie bezahlen nicht nur den Trainer, den Ort und die Verwaltung, sondern – alles, also auch die Werbung. Doch während die Weiterbildungsteilnehmer von einem qualifizierten Dozenten und einem ansprechenden Lernort unmittelbar einen Nutzen haben, ist das bei den teuren Anzeigen nicht so.

Hier unterscheidet sich die Weiterbildungsbranche von anderen Wirtschaftszweigen wie etwa der Konsumgüterindustrie. Bei einem Limonadeproduzenten wie Coca-Cola wäre die Trennung von Herstellung, Vertrieb, Werbung künstlich und willkürlich. Alle Unternehmensteile sind für den Unternehmenserfolg nicht nur unverzichtbar. Die Werbung erzeugt in gewisser Weise überhaupt erst den Markt mit ihrem emotionalen Nutzenversprechen, den das Produkt dann befriedigt.

Weiterbildner verfügen im Unterschied dazu über ein Produkt („Bildung“), dass gemäß eines breiten gesellschaftlichen Konsenses als wertvoll und förderungswürdig gilt. Dieses Privileg gilt es zu pflegen. Es schadet nicht, wenn Akademien ihre Besonderheiten kultivieren. Gleichwohl wird der aufmerksame Leser auch 2014 gelegentlich eine Anzeige der Akademie für wissenschaftliche Weiterbildung entdecken. Und zwar diese:

Imageanzeige 2014

Die Qualitätsillusion

Es ist ein offenes Geheimnis unter Weiterbildungsanbietern: Zertifizierungen sind Unfug. Sie bürgen nicht verlässlich für Qualität, sondern erzeugen deren Schein. Dennoch ist es schwer, sich dem Zertifizierungs- und Akkreditierungskarussell zu widersetzen. Kunden und Geldgeber verlangen danach. Wie kommt man da raus? Letztlich durch die Pflege langfristiger Partnerschaften zwischen Auftraggeber und Weiterbildungsanbieter.

Zertifizierungen und andere Qualitätsnachweise seien im Weiterbildungsmarkt gescheitert, weil sie nicht das messen, was sie messen sollen. Die Qualität eines Trainers lasse sich durch formale Verfahren nicht feststellen. Diese Meinung vertritt die bekannte Trainervermittlerin Jutta Häuser im aktuellen Heft von Training aktuell (hier zum Beitrag, kostenfreie Anmeldung erforderlich). Sie hat gute Gründe.

Grund 1: Zertifizierungen gibt es wie Sand am Meer. Trainer zertifizieren andere Trainer, Verbände ihre Mitglieder. Ein allgemein anerkanntes Qualitätssiegel gibt es nicht. Die Vielzahl der Zertifikate, Zeugnisse und Siegel verwirrt den Kunden mehr, als dass er verlässlich den besten Weiterbildungsanbieter für seine Bedürfnisse fände.

Grund 2: Die Qualität eines Trainers erwächst aus Eigenschaften und Dingen, die sich einer formalen Begutachtung gerade entziehen. Persönlichkeit lasse sich nun einmal nicht zertifizieren, so Häuser. Selbst die Erfahrung eines Trainers ist nicht so einfach zu bewerten. Klar, die Zahl der Berufsjahre und der Kunden lässt sich zählen und belegen. Aber ob nun genau dieser Trainer für jenen Auftrag geeignet war, das wissen Auftraggeber und -nehmer zuverlässig erst hinterher.

Das hängt mit Grund 3 zusammen: Der Kontext beeinflusst die Leistung. Die Tagesform des Trainers prägt das Geschehen im Seminar ebenso wie die Tagesform der Teilnehmer. Ein Trainer mag in einer Weiterbildung mit Vertriebsleuten brillieren, bei Ingenieuren beißt er auf Granit. Viele kleine und große Rahmenbedingungen sind ständig im Fluss und machen jedes Seminar zu einem Unikat. Doch was sich nicht wiederholen lässt, lässt auch keine verlässlichen Aussagen über die Zukunft zu.

Warum also streben so viele Trainer, Akademien und Agenturen nach Zertifikaten? Weil Kunden es so wollen. Weiterbildung ist eine Dienstleistung, deren Wirkung sich nur schwer fassen lässt. Ob der Installateur das Waschbecken gerade an die Wand gedübelt hat, erkennt jeder Laie. Aber ob die Teilnehmer eines Seminars mit einem echten Plus an Know-how aus der Veranstaltung rausgehen, ist mit einfachen Mitteln kaum zu verifizieren. Das Zertifikat gibt dem Auftraggeber in dieser Situation das beruhigende Gefühl, alles für den Erfolg getan zu haben.

Nicht zu vergessen die öffentliche Hand. Landesparlamente treiben das Zertifizierungsgewerbe kräftig an. Wer aus Steuermitteln Zuschüsse zu Weiterbildungen auslobt oder mit Bildungsurlaubsgesetzen den Angestellten im jeweiligen Bundesland zusätzliche Ferientage beschert, will kein Mittelmaß fördern. Deshalb müssen sich Akademien den unterschiedlichsten Prozeduren unterziehen, um ihre Qualität darzulegen. Jedes Land hat da seine eigenen Regeln. Ob dadurch mehr Qualität entsteht, ist höchst zweifelhaft. Nur dass es Bürokratie schafft und die Kunden Geld kostet, weil sich die Weiterbildungsanbieter die Kosten zurückholen, ist gewiss.

Was tun? Eigentlich ist die Lösung ganz einfach. Auftraggeber und Auftragnehmer sollten langfristige Geschäftsbeziehungen anstreben. Wenn an die Stelle von formalen Nachweisen ein kontinuierlicher Austausch tritt, dann öffnet sich der Raum, um spezifische Bedürfnisse zu erkunden und passgenaue Lösungen zu erarbeiten. Auf mittlere Sicht entsteht das, was sich alle wünschen: Qualität.

P.S.: Wie in der Akademie für wissenschaftliche Weiterbildung an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg die Qualitätssicherung gehandhabt wird, steht hier.

Nachtrag am 31.1.14: Der Beitrag hat auf Xing eine lebhafte Debatte unter Weiterbildnern und Trainern ausgelöst. Mit einigen interessanten Argumenten und Vorschlägen wie zum Beispiel einem Pilottraining, um neue Anbieter auszuprobieren. Zur Debatte.

Bahngeschichten VII: Baden baut die Mauer wieder auf

Die Berliner Mauer fiel 1989. Ihre würdige Nachfolgerin steht in Baden. Dort ist seit den frühen Neunzigern eine gigantische Lärmschutzwand entstanden. Was in der DDR dazu diente, die Bürger einzusperren, soll im Südwesten der Republik das Rattern der Züge dämpfen. Auch hinter der neuen Mauer liegt ein Todesstreifen, dessen Betreten streng verboten ist.

Zwischen Freiburg und Baden-Baden ist der Blick aus dem Zugfenster kein Vergnügen. Andernorts ziehen liebliche Landschaften vorbei, im Südwesten Deutschlands blockiert ein endloses 5 Meter hohes Betonband den Blick. Seit 1987 plant die Bahn den Ausbau der Rheintalbahn. Die Strecke zwischen Karlsruhe und Basel ist Teil der wichtigen Verbindung zwischen Rotterdam und Genua, hier sollen künftig viel mehr Güter auf der Schiene rollen als bisher. Der Abschnitt in Baden-Württemberg hat aber nur zwei Gleise. Zu wenig für den anschwellenden Verkehr. Also werden noch zwei Gleise dazugebaut.

Die Trassen laufen teils mitten durch idyllische Ortschaften. Nicht überall lassen sie sich an den Ortsrand verlegen. Um die Anwohner vor dem Lärm zu schützen, entstand rechts und links der Trasse eine riesige Lärmschutzwand. In Baden-Baden ist sie bereits fertig. Wer dort auf dem Fernradweg nach Süden unterwegs ist, radelt über mehrere Kilometer an der Wand entlang: rechts die Mauer, links das Industriegebiet. Der Eindruck ist gespenstisch. Eigentlich fehlen nur die Aussichtsplattformen, die den Touristen in Westberlin den Blick über die Mauerkrone auf den Todesstreifen ermöglichten.

Dafür gibt es in Badens Mauer alle paar hundert Meter Türen. Es sind Fluchtwege. Die gehen aber nicht auf. Zumindest nicht von außen. Das ist auch besser so. Denn dahinter liegt der badische Todesstreifen. Hier rasen die Züge vorbei.

Der Schienensuizid ist in Baden-Württemberg übrigens überproportional häufig. Ein Selbstmordschwerpunkt auf der Rheintalstrecke ist Emmendingen. Daran hat der Bau der Lärmschutzwände wenig geändert. Die lebensmüden Leute werfen sich jetzt im Bahnhof vor den Zug.*

*vgl. die Studie „Regionale und örtliche Verteilungsmuster von Bahnsuiziden„, 2004.

Autorisieren und Gegenlesen sind nicht dasselbe

Soll ein Wissenschaftsjournalist seinen fertigen Text dem Wissenschaftler vorlegen, der Auskunft gegeben hat? Diese alte Debatte hat auf der Bremer Fachkonferenz Wissenswerte einen erneuten Anstoß bekommen.

Der Hauptprotagonist in Bremen war Patrick IIlinger (Süddeutsche Zeitung), der die Praxis des Gegenlesens als komplett unjournalistisch verwarf. Markus Pössel (Blogger) und Franz Miller (Ex-Fraunhofer-Kommunikationschef) haben die Debatte inzwischen weiterbefördert. Lesenswert ist vor allem ein Beitrag von Pössel („Journalisten, Wissenschaftler und das leidige Gegenlesen“), der fein auseinander sortiert, was Miller zuvor zusammengeworfen hatte („Wissenswerte – im Umbruch“).

Wenn „Autorisieren“ (=Text als wohlgefällig absegnen) und „Gegenlesen“ (=Text vom Fachmann auf sachliche Richtigkeit unverbindlich prüfen lassen) verrührt werden, führt das die Debatte zum Absturz. Gegen Ersteres wehren sich Journalisten mit Recht. Die entspannte Praxis in anderen Ländern, was Zweiteres angeht, finde ich durchaus beispielhaft.

Zwei Gedanken:
1) Wenn sich Journalisten so vehement weigern, ihren Text vor der Veröffentlichung unverbindlich der Expertin (Männer sind mitgemeint) zu zeigen, enthält das eine Prise Unsouveränität.

2) Ganz unschuldig sind Wissenschaftler am Durcheinander nicht. Die verwechseln Autorisieren und Gegenlesen oft genug. Der Anspruch, das öffentliche Bild der eigenen Arbeit zu kontrollieren, tarnt sich dann als freundliches Angebot, die sachliche Richtigkeit zu prüfen. Dem zu widerstehen steht Journalisten gut zu Gesicht.

Bahngeschichten VI: Grün statt grau

Frank Stäudner leidet an schlimmen Phantomschmerzen. Er ist aus dem Vielfahrerprogramm der Deutschen Bahn rausgeflogen.

Meine neue BahnCard 50 ist da. Die alte war silbergrau und hatte ein Foto. Die neue ist grün. Ohne Foto. Dafür fahre ich jetzt mit „100 % Ökostrom“. Trotzdem ist meine Eitelkeit schwer verletzt. Ich bin tief gekränkt – die Bahn hat mir den BahnComfort-Status entzogen.

In den Genuss des Vielfahrerprogramms der Bahn kommt, wer oft mit dem Zug unterwegs ist und binnen zwölf Monaten für mindestens 2000 Euro Fahrkarten kauft. Mitte 2013 waren das rund 160.000 Menschen. Ich gehörte seit der Einführung des Programms 2002 stets dazu. Mit Bahn-Comfort-Status kam ich kostenlos in die DB-Lounges rein, die es in den meisten Großstadtbahnhöfen gibt und in denen Zeitungen, Kaffee und alkoholfreie Getränke serviert werden. In der Lounge im Berliner Hauptbahnhof bewirtet die Bahn ihre Gäste sogar mit Wein, Bier und leckeren Häppchen (sofern man einen 1.-Klasse-Fahrschein hat). Besonders bequem fand ich, dass ich mir die Platzreservierung sparen konnte. Im ICE war stets ein Sitzplatzkontingent für uns Vielfahrer frei, passenderweise meist direkt neben dem Speisewagen.

Das fröhliche Hedonistenleben auf Reisen geht nun leider zu Ende.

Früher nahm ich von Essen aus den Zug zu Geschäftsreisen nach Berlin, Hamburg, Bremen. Jetzt fahre ich von Heidelberg aus zu den Kunden der Akademie für wissenschaftliche Weiterbildung nach Mannheim, Stuttgart oder Steinheim an der Murr. Da kommen keine 2000 Statuspunkte mehr zusammen. Und nach Steinheim nimmt man besser das Auto.

Klar, vieles hat sich verbessert. Ich habe eine wunderbare Aufgabe. Der Geschäftsführerjob ist herausfordernd, abwechslungsreich, verantwortungsvoll, und ich bin an Bord des Kutters der Kapitän. Auf die materiellen Annehmlichkeiten der Comfort-BahnCard kann ich verzichten. Es ist der symbolische Verlust, der schmerzt. Mir kommt es so vor, als habe die Bahn mir ihre Zuneigung entzogen, als sie die grüne Karte schickte. Seither bleibt meine Liebe zu diesem großartigen Verkehrsmittel unerwidert. Das tut weh.

Doch vielleicht lädt mich mal jemand in die DB-Lounge nach Mannheim ein. Eine Begleitperson darf  nämlich kostenlos mit hinein. Und bei der nächsten Fahrt mit dem ICE setze ich mich für ein paar Minuten auf einen der BahnComfort-Sitzplätze und tu so, als gehörte ich noch dazu.

Weiterbildner jenseits der Komfortzone

Eine Tagung, die alle Teilnehmer in Bewegung bringt und auf die herkömmliche Abfolge von Vortrag und Diskussion verzichtet, ist eine anstrengende Zumutung. Doch wer das Neue erlebt hat, will es nicht mehr missen. Eine persönliche Nachlese von der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Wissenschaftliche Weiterbildung und Fernstudium 2013. 

Herkömmliche Fachtagungen sind eine Plage. Die geladenen Experten halten langatmige PowerPoint-Vorträge oder lesen ihren nächsten Fachaufsatz vor. Das Publikum dämmert langsam weg, keinen stört’s. Das eigentliche Tagungsgeschehen findet ohnehin in den Kaffeepausen statt. In Rostock kam es in der letzten Septemberwoche 2013 ganz anders.

Unter dem Tagungsthema „Hochschule des lebenslangen Lernens – Mehrwert, Chancen und Erträge“ versammelten sich 200 Weiterbildungsexperten aus Hochschulen des deutschsprachigen Raums vom 25. bis 27. September 2013 an der Universität Rostock. Das Programmkomitee der Deutschen Gesellschaft für Wissenschaftliche Weiterbildung und Fernstudium DGWF hatte sich mutig für eine Neuerung entschieden. Statt der bekannten Abfolge von Vorträgen mit Diskussion sollten alle Veranstaltungsteile im interaktiven Format der „Fishbowl“ abgehalten werden.

Die Fishbowl (auch Aquarium) ist eine Methode für die Arbeit mit Großgruppen. Weiterbildner setzen sie öfter ein, an der Akademie für wissenschaftliche Weiterbildung in Heidelberg gehört sie zum Standardrepertoire. Das Aquarium lässt sich vielleicht am ehesten als demokratisierte Podiumsdiskussion beschreiben, in der die Schranke zwischen Experten und Publikum gefallen ist. Gerade für eine Fachtagung ist das ein passendes Format – schließlich sind dort (mit wenigen Ausnahmen) alle Experten.

In einer Podiumsdiskussion wären die Rollen klar verteilt. Im Aquarium bleiben dagegen immer Plätze frei, die von Teilnehmern aus dem Publikum eingenommen werden können, um mitzudiskutieren. Ein Moderator wacht darüber, dass das geregelte Rein und Raus nicht in Anarchie umkippt. So gesehen, ist die Bezeichnung „Aquarium“ ein wenig rätselhaft. Fische können nicht aus dem Goldfischglas raus, Menschen schon. Vor der Tagung verließ ein paar Beteiligte der Mut („So viele Teilnehmer. Und dann noch ein Hörsaal. Wollen wir nicht doch eine konventionelle Moderation?“). Zum Glück fanden sie ihn rechtzeitig wieder.

Denn Mut gehört dazu. Da das Format offen ist, können unvorhergesehene Dinge passieren. Deshalb müssen alle Beteiligte den Mut mitbringen, sich überraschen zu lassen. Da wir Menschen aber Überraschungen hassen, selbst wenn wir Wissenschaftler sind, ist das gar nicht ohne.

Der Moderator wird es mit Teilnehmern und Ideen zu tun bekommen, auf die er sich nicht vorbereiten konnte. Er muss den Mut aufbringen, zu improvisieren und den unvorhergesehenen Dingen Raum zu geben.

Was dabei entstehen kann, zeigt die Abbildung. Zu sehen sind Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren für Angebote wissenschaftlicher Weiterbildung. Beigetragen haben Claudia Koepernik, Offene Hochschule Zwickau, Stefanie Kretschmer und Joachim Stöter, Universität Oldenburg, Prof. Dr. Stefan Göbel und Jan Tauer, Universität Rostock, und Prof. Dr. Gabriele Vierzigmann, Hochschule für angewandte Wissenschaften München. Sie waren die Gäste im Forum „Management und Governance“, das der Autor moderierte. Gewissermaßen die ersten Goldfische.

Angebote wissenschaftlicher Weiterbildung müssen gut in der Hochschule verankert sein. Ob der beste Weg eine eigene Weiterbildungsfakultät, eine Professional School oder eine Akademie wäre, bleib offen. Aber dass sich Hochschulleitung, Dekane und Professoren die Weiterbildung neben Forschung und Lehre in den grundständigen Studiengängen als wichtige Aufgabe zu eigen machen müssen, darüber bestand Konsens. Dass rechtliche Rahmenbedingungen unklar, wenig passend und nicht sachgerecht seien, kam ebenfalls raus. Aber das steht auf einem anderen Blatt.

Mehr zur DGWF-Jahrestagung 2013: http://www.uni-rostock.de/weiterbildung/dgwf-jahrestagung-2013/Image

Das Liebesideal

Die steuerliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften  („Homo-Ehe“) mit der Ehe ist umstritten. Konservative Kreis haben an den jüngsten Gerichtsurteilen arg zu schlucken. Dabei ist die Gleichbehandlung nur folgerichtig und geht mit einem Bedeutungswandel der Ehe in den modernen bürgerlichen Gesellschaften spätestens seit dem 19. Jahrhundert einher.

In traditionellen Gesellschaften einst und jetzt dient die Verbindung von Mann und Frau vielen Zwecken, von der materiellen Versorgung  der Töchter bis zur Pflege politischer Freundschaften und der Sicherung des Fortbestehen der Dynastie. Liebe ist nicht immer im Spiel, die gegenseitige Zuneigung der Brautleute war jedenfalls oftmals nicht der entscheidende Impuls, um miteinander die Ehe einzugehen.

Das änderte sich mit dem Idee der Liebesheirat. Seither gilt als konstituierendes Element der Ehe die Liebe zwischen zwei Menschen. Doch wenn es nicht mehr an erster Stelle ums Kinderkriegen geht, dann ist es nur konsequent und folgerichtig, überhaupt nicht mehr auf das Geschlecht der Partner zu schauen. Dieser gesellschaftliche Prozesse findet gerade seinen Abschluss. Wo die Liebe hinfällt, geht den Gesetzgeber nichts mehr an.

Prognosen und ihre Probleme

Der Artikel „Erfolg kann lähmen“ im Harvard Business Manager vom März 2013 enthält einen simplen Denkfehler. Nach großen Triumphen nimmt der Erfolg praktisch immer ab. Dafür bedarf es gar keiner besonderen Gründe. Schuld ist die Statistik.

Die Redakteurin Gesine Braun berichtet über Untersuchungen des Leadership-Professors Matthew Bothner von der ESMT– Hochschule in Berlin. Der hat festgestellt, dass aktive Profisportler, die in der Vergangenheit sehr erfolgreich waren und deshalb hoch angesehen sind, in der Zukunft in ihren Leistungen sehr wahrscheinlich nachlassen. Bothner zieht daraus den Schluss, dass es bei Personalentscheidungen nicht immer die beste Wahl sei, den Kandidaten mit den besten Leistungen in der Vergangenheit einzustellen. „Gründe für den Effekt“ nenne Bothner nicht, schreibt Braun, er rate aber, „sich bei Stellenbesetzungen mehr auf den aktuellen Eindruck als auf vergangene Leistungen zu konzentrieren.“

Mal abgesehen davon, dass der Analogieschluss von Profisportlern auf Fach- und Führungskräfte reichlich kühn ist, hat Bothner Recht. Aber um das rauszubekommen, muss man keine großen Untersuchungsreihen starten, sondern nur ein wenig Wahrscheinlichkeitsrechnung betreiben. Bothner und Braun machen einen simplen Denkfehler.  Es bedarf nämlich gar keiner Gründe für die nachlassende Leistung. Der Erfolg geht von ganz allein.

Spitzenleistungen im Sport wie im Geschäftsleben hängen von vielen Faktoren ab. Nicht alle lassen sich aktiv beeinflussen. Glück und Zufall spielen auch ihre Rolle. Der schärfste Rivale im Sprint hat sich einen Schnupfen eingefangen. Das Unternehmen bekommt einen eiligen Großauftrag deshalb, weil ein anderer Auftrag geplatzt ist und Kapazitäten frei geworden sind. Planen lässt sich das nicht.

Außergewöhnliche Spitzenleistungen sind also – außergewöhnlich. Doch wenn es sich dabei um Ausreißer nach oben aus einer Normalverteilung („Glockenkurve“) handelt, dann heißt das: Es ist viel wahrscheinlicher, dass an einen großen Erfolg ein weniger großer Erfolg anschließt.

Oft ist das Extrapolieren ja eine gute Idee. Die Zukunft ist der Vergangenheit oft erfreulich ähnlich. Nur eben nicht bei den Extremleistungen. Wer die Wahrscheinlichkeit erhöhen möchte, dass sich ein Bewerber im neuen Job im Vergleich zum alten verbessert, sollte einen der ganz schwachen Kandidaten nehmen. Blöd nur, dass dessen Leistung dann noch immer nicht an den Durchschnitt heranreicht.

Kurzum, Erfolgsprognosen sind schwierig, denn sie betreffen die Zukunft.

P.S.: Der Wirtschaftsnobelpreisträger und Psychologe Daniel Kahneman beschäftigt sich mit diesem und anderen häufigen Denkfehlern in seinem großartigen Buch „Schnelles Denken, langsames Denken„.

Frank Stäudner

Das Weiterbildungsgeheimnis

Was die Akademie besonders macht – Eindrücke aus der Heidelberger Trainerausbildung

Der angehende Filmemacher Kolja Schoon hat in meinem Auftrag einen kleinen Film über die Akademie für wissenschaftliche Weiterbildung in Heidelberg gedreht. Die Impressionen aus der Trainerausbildung und Interviewsequenzen mit der langjährigen Geschäftsführerin der Akademie Veronika Strittmatter-Haubold zeigen, worauf es in zeitgemäßen Weiterbildung ankommt. Der Herr mit der widerspenstigen Frisur und der Helmut-Kohl-Joppe bei 0:41, 0:48 und 2:05 bin ich. Frank Stäudner

Neugierig geworden? Mehr zur Akademie hier.